Heute morgen kam mal wieder das »vertraute« Signal – Code Red, Raketenalarm. Es gibt eine App, die in Echtzeit die Warnungen über’s Handy schickt. Ich kenne diesen Alarm nur zu gut. Von der App, aber mehr noch in der Realität. In meiner Zeit als ARD-Korrespondent in Israel/Palästina, habe ich die drei Gaza-Kriege (2008/2012/2014) gecovert und wir verbrachten die meiste Zeit an der Front. Und da hörten wir auf der israelischen Seite immer und immer wieder »Zeva Adom«, wie der Alarm auf Hebräisch heißt (»Rote Farbe«).
Zwischen Mittelmeer und Jordan | Videoblog – Reporteralltag im Sirenengeheul
Immer hin und her
In den letzten Tagen und Wochen hat sich die Lage an der Grenze zu Gaza wieder einmal verschärft. Nach den Protesten, bei denen Israel Tausende Palästinenser verletzte und mehr als 60 tötete, kommt es jetzt immer wieder zu Luftangriffen der IAF auf Hamas-Stellungen als Vergeltung dafür, daß immer wieder Palästinenser den Grenzzaun überqueren oder wegen anderer Provokationen der Hamas. Und Gaza reagiert auf die Reaktion: mit Mörsergranaten und Raketenbeschuß, etwa gestern. Und so geht das immer hin und her. Immer häufiger, immer heftiger. Wobei man im Augenblick in Israel glaubt, daß die Raketen und der Beschuß von gestern auf Kosten des Islamischen Jihad geht, aber das ist Jerusalem egal, Hamas regiert in Gaza, also ist sie verantwortlich.
Die Erde bebt
Man gewöhnt sich nicht an den »Zeva Adom«-Alarm. Er geht einem buchstäblich »in den Bauch«, der Körper reagiert unmittelbar. Es ist kein Gefühl der Panik, aber der massiven Unruhe, Fluchtgefühle kommen hoch – so soll es ja auch sein. In Gaza haben die Menschen keine Vorwarn-Möglichkeit. Wenn die israelischen Kampfjets der Israelis kommen, dann bebt die Erde, der Lärm ist unbeschreiblich und die Menschen haben nirgends hin zu fliehen. Keine Bunkerzimmer in ihren Häusern, nichts. Ich habe das in Gaza auch selbst erlebt, es ist entsetzlich. Die Hamas-Granden verkriechen sich dann in die unterirdischen Tunnel – so auch während der Kriege – die Bevölkerung kann schauen, wo sie bleibt.
In der ganzen Welt macht man Israel für die Zustände in Gaza verantwortlich, für die humanitäre Katastrophe, für die Armut, den Mangel an Frischwasser, an Elektrizität und vielem, vielem mehr.
Ja, Israel ist – obwohl man 2005 komplett aus dem Gaza-Streifen abgezogen ist – immer noch verantwortlich für Gaza als Besatzungsmacht, auch wenn Israel sich nicht mehr als solche dort sieht.
Wer ist verantwortlich?
Nur, was könnte Israel heute tatsächlich tun? Es ist in der Realität nicht so, daß Israel allein für die Lage vor Ort verantwortlich ist. Die Hamas bekommt Millionen in den Rachen geschoben, derzeit vom Iran – und tut für die eigene Bevölkerung nichts, sondern steckt das Geld in Waffen und Tunnelbau für die nächste Kriegsrunde mit Israel. Die Ägypter haben den größten Teil der Schmuggeltunnel geschlossen, die Grenze Rafah ist meistens zu – außer jetzt zu Ramadan. Und man läßt so gut wie nichts nach Gaza rein. Was reinkommt, kommt über die israelische Grenze. Hunderte von Lastwagen mit Lebensmitteln und vielem mehr, täglich. Nicht genug, keine Frage. Aber wenigstens das. Strom: Die Palästinensische Autonomiebehörde hat vor Monaten die Israelis angewiesen, noch weniger Strom als sonst schon nach Gaza zu liefern, man sei nicht mehr bereit dafür zu bezahlen. Warum? Weil man in einem Bruderkrieg mit der Hamas ist. Die Gehälter an die PA-Beamten in Gaza wurden von Ramallah immer weiter gekürzt – Hunderte von Familien haben darunter zu leiden. Nun sollen die Gehälter doch wieder ausgezahlt werden, in voller Höhe. Heißt es.
Zwischen Mittelmeer und Jordan | Videoblog – Im Innern eines Hamas-Tunnels
Und die Hamas? Sie steht politisch an der Wand. Die Menschen in Gaza haben sie satt, sie haben längst begriffen, daß es ihnen seit der Hamas-Herrschaft schlechter und schlechter geht. Aber sie können das nicht äußern. Die Gewaltherrschaft ist brutal und duldet keinen Widerstand. Die meisten sunnitischen Staaten haben mit der Hamas nichts mehr am Hut: Ägypten sowieso nicht, aber auch nicht Saudi-Arabien. Nur der Iran stützt die Hamas derzeit, man braucht sie im Kampf gegen Israel.
Eine neue Barriere im Meer
Was könnte Israel also wirklich tun? Gestern wurde gemeldet, daß die Israelis nun im Meer vor der Küste Gazas eine neue Barriere bauen, um den Waffenschmuggel noch besser unterbinden zu können. Daß es ihn gibt, ist bewiesen. Israel hat immer wieder Waffenlieferungen des Iran auf dem Mittelmeer erwischt und gestoppt.
Doch es gibt in Israel eine Idee, die sogar der Likud-Minister Israel Katz befürwortet. Man könne vor Gaza eine künstliche Insel schaffen, die ein Hafen für Güter werden könnte und auch für die Menschen, um rein und raus zu können. Man könnte dort ein genaues Kontrollsystem entwickeln, damit tatsächlich keine Waffen und Bomben reinkommen, sondern all das, was Menschen für ein würdiges Leben brauchen. Doch die israelische Regierung lehnt dies ab. Warum? Es gibt keine vernünftige Antwort darauf. Es wäre eine Möglichkeit, den Menschen zumindest zu helfen. Aber: Fehlanzeige.
Und weiterhin: Zeva Adom
Solange die Hamas in Gaza regiert – respektive ihre Ideologie nicht verändert – solange dort andere islamistische Gruppen den Kampf gegen Israel propagieren und nicht bereit sind, den Status zu verändern, solange wird sich in Gaza nichts bewegen. Nicht nur von israelischer Seite aus, sondern auch von den anderen arabischen Staaten.
Bis dahin wird Israel wohl weiterhin seine Grenze zu Gaza mit aller Gewalt schützen. Bis dahin wird es Angriffe und Gegenangriffe geben, ohne daß sich irgendwas verändert, außer, daß noch mehr Menschen sinnlos sterben müssen. Und ich werde wohl weiterhin den »Zeva Adom«-Alarm hören, wissend, daß die Menschen in Gaza keine Schutzräume haben und der Übermacht der israelischen Armee hilflos ausgeliefert sind. Und in Israel werden die Menschen weiterhin nicht hinschauen wollen, welches Drama sich in Gaza abspielt.
Richard C. Schneider, Tel Aviv
Ein Gedanke zu „Code Red – und immer wieder Gaza“
Ich habe endlich genug. Deutsche Welle zitiert : „…..In einer Mitteilung der Hamas hieß es mit Blick auf die Granatangriffe gegen Israel, der „Widerstand von heute Früh“ sei im Rahmen „des natürlichen Rechts auf Verteidigung“ erfolgt. „Die israelische Besatzung trägt die volle Verantwortung für jede weitere Eskalation.“ Widerstand war ein einseitiger kriegerischer Akt gegen Menschenleben in Israel. Was haben die verteidigt, Herr Redakteur ?? Die Hamas trägt keinerlei Verantwortung, aber Israel ?? Wann wird unsere deutsche Presse mal wach und VERSUCHT zumindest ausgewogen zu berichten ?? unkommentierte Hamas-Zitate, Opferschreie aus Gaza…. ich kann es nicht mehr hören, als deutscher Journalist, der einmal die Objektivität gelernt hat