Gestern hatte ich die große Freude, eine liebe Freundin aus Berlin wiederzusehen, die dort einem wichtigen Thinktank vorsteht. Wir unterhielten uns über den heute erscheinenden Antisemitismus-Bericht der zur EU gehörenden FRA. Das Ergebnis dieser Studie ist – wie kann es anders sein – niederschmetternd, aber das ist schon längst nicht mehr wirklich überraschend.
Wir sprachen über die Zukunft jüdischen Lebens in Europa, besonders natürlich in Deutschland. Meiner Skepsis begegnete sie mit einem gewissen – amerikanischen – Optimismus. Sie wies auf die wachsende Infrastruktur in den jüdischen Gemeinden hin, auf die junge jüdische Generation, die inzwischen überwiegend Kinder der sowjetischen Einwanderer sind und ihren Platz in der deutschen Gesellschaft mit einer gewissen Selbstverständlichkeit einfordern.
Sie hat Recht. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen jungen Juden und uns inzwischen „Einheimischen“ ist, daß wir als Kinder der Holocaust-Überlebenden aus Osteuropa mit einer gewissen Vorsicht und Distanz gegenüber der deutschen Nachkriegsgesellschaft aufgewachsen sind. Während wir unsere Eltern nicht verstehen konnten, wie sie ausgerechnet im Land der Mörder unserer Familien bleiben und leben konnten, sahen und sehen die „russischen“ Juden Deutschland als Land der Sicherheit, des Wohlstands, vor allem aber: der Freiheit an. Ihre jüdische Geschichte in der Shoah war überwiegend eine Geschichte des Kampfes: als sowjetische Soldaten in der Roten Armee gegen Hitler-Deutschland. Es gab natürlich sowjetische Juden, die ebenfalls Opfer der Shoah wurden, aber viele haben in ihren Familien eine soldatische Vergangenheit und nicht die von KZ-Opfern. Das hat ihren Blick auf Deutschland anders geprägt. Und als sie aus der UdSSR nach Deutschland kamen, war das ein Ankommen im Westen mit einem gewissen Versprechen auf ein besseres Leben.
Vor wenigen Wochen traf ich in Israel eine Gruppe junger jüdischer Leader aus Deutschland. Fast alle haben sowjetische Eltern, einige von ihnen sind noch in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Interessant war, wie sehr sie Deutschland als ihre Heimat ansehen, Israel zwar unterstützen, aber nicht wirklich da leben wollen.
Doch als wir über den wachsenden Antisemitismus in Deutschland zu sprechen kamen, wurden auch sie einerseits skeptisch und pessimistisch, andererseits reagierten sie auch mit einem gewissen Trotz und einem Kampfeswillen, ihren Platz in Deutschland zu behaupten. Ob ihnen das gelingen wird, ob sie nicht nur „jugendlich“ mutig und optimistisch sind, das wird sich zeigen. Anders als bei uns als wir jung waren, ist jedoch, daß während wir immer zweifelten, ob wir in Deutschland jemals wirklich zu Hause sein könnten, diese jungen Menschen dies bislang nicht tun.
In meiner Generation sind die meisten schon in jungen Jahren aus Deutschland weggegangen. In die USA, nach Israel, nach England. Einige wenige nur kamen zurück. Und diejenigen, die in Deutschland blieben, rackerten sich ab, um in Deutschland irgendwie ein Gefühl von Zuhause zu bekommen. Das gelang mit wechselndem Erfolg. Tendenz: negativ. Die meisten, die ich kenne und mit denen ich zur Zeit viel spreche, ob in München, Frankfurt, Berlin, Düsseldorf oder anderswo, fragen sich inzwischen, ob es richtig war in Deutschland zu bleiben und sie machen sich – wenn ihre Kinder noch in Deutschland sind – Sorgen um deren Zukunft. Aber sie stellen sich auch die Frage: Wohin? Ins europäische Ausland? Da ist es teilweise schlimmer als in Deutschland. In die USA des Donald Trump? Da schaudert’s vielen. Und ins Israel von Benjamin Netanyahu? Auch da hält sich die Begeisterung in Grenzen, selbst wenn einige meinten: Na, wenn alle Stricke reissen, dann ist es eben doch Israel.
Nun erscheint also der EU-Bericht zum Antisemitismus. Und in Brüssel klopft man sich stolz auf die Brust, weil vor einer Woche eine Erklärung zum Kampf gegen den Antisemitismus einstimmig angenommen wurde. Dies sei ein „wichtiges Signal für die jüdische Gemeinschaft“, hieß es. Ist das wirklich so? Vom Redenschwingen hat „die jüdische Gemeinschaft“ mehr als genug. Die Frage ist: was wird wirklich getan? Und wie nachhaltig wird es getan? Mit der Einstellung von Antisemitismusbeauftragten ist nichts gelöst, vor allem nicht, wenn sie kein Personal, nicht genug Befugnisse, nicht genug Geld haben. Es ist ein steiniger Weg, den die Mehrheitsgesellschaft gehen muß. Nicht die Juden. Wird es ihr gelingen?
Richard C. Schneider, Tel Aviv
4 Gedanken zu „Selbstbewußte deutsche Juden?“
Dann sollten sie doch am besten dabei mithelfen den Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn solange die nicht an der Macht sind droht ihnen bei uns auch keine Gefahr. Immerhin würden laut einer Bertelsmannstudie 71% der Wahlberechtigten auf keinen Fall AfD wählen. Keine andere Partei erfährt eine so deutliche Abneigung der Mehrheit der deutschen Wähler. Punkten könnten die demokratischen Parteien mit einem klaren Bekenntnis zu Europa, sowohl bei den latent populistischen, als auch bei den unpopulistischen Wählern. Ein weiteres Gebiet, auf dem sich die demokratischen Parteien beliebt machen können ist der soziale Wohnungsbau. Die Politiker müssen eben auch die Probleme der kleinen Leute in den Fokus ihrer Bemühungen setzten. Dann verschwindet das Schreckgespenst des Populismus auch wieder.
Populismus: „Gegen Feuer hilft kein Brandbeschleuniger“ https://www.tagesschau.de/inland/populismusbarometer-101.html
Von selbstbewussten deutschen Juden würde ich mir wünschen, dass sie sich mit der demokratischen und pluralistischen, vernünftigen Mehrheit solidarisieren und mit ihnen zusammen den Populismus bekämpfen. Bitte nicht wieder das „Gettodenken“, das manche Juden immer noch irgendwo im Hinterkopf haben wieder aktivieren. Man ist immer zusammen mit einer starken Mehrheit erfolgreicher und schlagkräftiger, als wenn eine Minderheit versucht, alleine gegen den „Rest der Welt“ zu kämpfen. Die Geschichte von David gegen Goliat ist zwar eine nette Geschichte, aber im richtigen Leben wäre es besser gewesen, wenn David sich starke Verbündete gesucht hätte. Das hat Israel ja mit den USA auch gemacht. Und das sollten auch die Juden in Europa tun: Sich mit zuverlässigen Gruppen verbünden, die ebenfalls gegen den Populismus sind und sich dort engagieren.
Sie deligieren zur Lösung der dchlimmsten Entwickelung in der Bundesrepublik Deuschland und damit Gesamtdeutschland wieder an die jüdischen Menschen. Gerade haben Sie in dem Artikel gelesen, nicht die Juden. Es fehlt Ihnen vieles in Ihrem oberflächlich gut gedachten Denken. In der BRD aufgewachsen als Kind deutsher Juden, deren Eltern nicht einmal sagen konnten warum Sie uns den Umgang mit wem verbieten und warum Sie das taten werden Sie fragen. Eben weil
die Ermordeten als ständig ge-AHN-ter Schmerz und Greuel zugegen waren und sind in unseren GENEN …… . Wem also sollen wir trueherzig vertrauen, Gruppe oder Nicht Gruppe. Die Mörder
waren und blieben zugegen und diese Gefahr wurde von Deutschen in Ost und WEST ignoriert
und dieses Versagen sollen wir jetzt zu lösen wissen ? Solchen alten echen Mördergangs in der BRD bin ich ins Haus gezogen, und wurde niedergeschlagen und schwerverletzt hat mein zerschlagenes Leben niemanden wirklich interessiert. Der Täter hat 3.500 Juden in der Schoa ermordert und war frei. Das ist nicht normal und einfach unglaublich. Aus Angst will niemand
damit etwas zutun haben und mit Juden zu sein ist seither für mich äusserst delikat, die Massen
der Überwältiger ist eben nicht kleiner gewoden, vielmehr wieder im Bundestag vertreten. Meine Freunde sind seit langem verstorben oder waren auch von der Sorte nur ein bischen ineressanter
gemacht mit modernen Mitteln wie Drogenkonsm, Parties und Sex. Alles nichts für mich das mich erbaut hätte.
Ihre Politische Idee scheint ganz vernünftig jedoch sind wir jüdischen 2. Generationen sehr ausge-beutet und geschädigt, gerade angesichts der erneuten gefährlichen Entwicklungen, nicht
nur politisch – das sind alles auch private Personen, die es verstehen sich entsprechend zu bewegen – die Angst mit der wir leben ist nicht aus Feigheit oder dis-courage gemacht. Und ich weiss mich auszudrücken, tragen jedoch auch die Gefahr aller Deutschen als Jüdin in Meiner Habtich weil ich als Teil von Ihnen verkannt werden kann, allein schon wegen der Sprache. Das
geht ganz schnell. Wenn Ihre Gruppen, von denen Sie sprechen so stark wären, wie Sie sagen und vermutlich glauben, wäre das alles so nicht, vielleicht so ähnlich wie Sie sich das vorstellen
wollen in Ihrer vielleicht schamvollen Phantasie. Meine jüdischen Freunde kannte ich kaum, da
haben die NAZIS mehrmals wiedr zugeschlagen. Sie haben nämlich auch Zugang zu persönlichsten Daten und verstehen das seit fast 20 Jahren dezidiert zu missbrauchen: an ihren Arbeitsplätzen, in allen Branchen, allen Parteien, allen Schulen und Bildungsstätten, einfach überall. Manchmal hatte ich Glück das ist jedoch sehr anstrengend, zu wissen, der andere hat immer einen Trumpf im Hinterhalt und den auszuspielen hat viele Gesichter und ein Teil der Anwesenden magen dann zwar sich empört zeigen, …. niemand mischt sich ein, nichteinmal mit
Hilfsbereitschaft, dem „Opfer“ einer Gewalttat entsprechend zu helfen – damit ist an sofort der nächsten Gefahr ausgesetzt. Das ist in der Genetik gepflegt und bleibt und im Ernstfall zeigt es sich ganz kalt und grausam. Die Virulenz sucht sich seinen Nährboden. Das, wie gesagt, lesen Sie bei R. Schneider ….wir sind nicht schuld und unsere Stärke ist für Sie nicht verspeisbar.
Dass ich das schreibe ist ein Ergebnis der Gefahr in Verzug – vielleicht auch Courage die der Ew-ge
uns zum Trost für andere Opfer gegeben hat. So bin ich Therapeutin geworden und von Nicht-Juden und anderen schonviel gequält worden. Shalom Shalom
Danke , lieber R.Schneider, Sie habe ich lange gesucht Sie könnten mir ehlfen, wenn Sie wollen, die Lage ist noch viel vertrackter, als ich das hier schreiben möchte. Gewalttäter gibt es überall…. . Danke sehr. Lidraod.
Werter Herr Schneider
Viktor E. Frankl hat in seiner Wiener Rede von 1988 die Antwort gegeben, warum er als Jude weiterhin in Österreich und nicht in den USA oder in Israel leben möchte.
Zur Erinnerung gehört auch, dass russische Juden nach Kriegsende ihre Waffen gegen deutsche Soldaten richteten. In deutschen Zeitungen las ich darüber bisher nichts.
Das Wort „Antisemitismus“ kenne ich seit über 50 Jahren mit dem Begleitwort eines „wachsenden“. Sicherlich gibt es Wissenschaftler, die das sehr gut belegen können, vor allem, in dem Sie dabei eine Definition verwenden, die frei ist von jeder Manipulierbarkeit (Vergl. Moshe Zuckermann im Gespräch mit Arnold Schölzel 04.06.2013).
Was meinen Sie, wenn sie sagen, dass die Antisemitismusbeauftragten mehr Personal, mehr Befugnisse, mehr Geld bekommen sollen. Soll da eine neue Behörde entstehen, ähnlich der Ämter für Verfassungsschutz, und sollten nicht auch Beauftragte zum Schutz von Moslems errichtet werden, und zum Schutz für andere bedrohte Minderheiten???
Bedroht und verletzlich sind wir alle. Die beste Form des „wehret den Anfängen“ totalitärer Herrschaftssysteme ist das „sapere aude“ und die Internalisierung des „kategorischen Imperativ“. Das schließt Mobbing und Gewalt jeglicher Art aus. Eine Gesellschaft, ob als Mehrheit oder Minderheit lebend, die sich nicht mit den Werten der Aufklärung verbindet, sondern ihre besonderen „Lehren aus der Geschichte“ zieht, damit faschistoides Handeln zu legitimieren such, so wie es gerade passt, wird scheitern.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Krähling, Schloßhof, Direktor i.R., Alumni der Georg-August Universität Göttingen