Heute lernte ich eine ganz reizende Familie kennen. Er stammt aus Kolumbien, sie aus Yaffo. Zwei Kinder. Er spricht mit den Kindern nur Spanisch, sie Arabisch, natürlich sprechen die Kinder auch Hebräisch, außerdem Französisch, weil sie in die französische Schule in Yaffo gehen. Englisch kommt demnächst dran.
So ausgestattet, so hoffen die Eltern, haben die Kinder eines Tages die Möglichkeit überall hin zu gehen. „Denn hier wird’s nur schlimmer, aber woanders ja auch, wohin also kann man noch gehen? Aber mit Sprachen kommt man immer weiter“, sagte die Mutter.
Sprachen und Durchkommen
Und unweigerlich mußte ich an meine Eltern denken, die nicht nur Holocaust-Überlebende waren, sondern auch Flüchtlinge. Zweimal flohen sie vor den Kommunisten, einmal aus der Tschechoslowakei, einmal aus Ungarn. „Meine Kinder müssen Sprachen können“ hatte meine Mutter bereits gewußt, also sie noch keine Kinder hatte. „Damit sie immer irgendwo irgendwie durchkommen“.
Das war vor über 70 Jahren. Und jetzt gibt es eben wieder Familien, die genauso denken. Es geht nicht nur darum, in einer global vernetzten Welt polyglott zu sein, sondern es geht: um’s Überleben. Durchkommen, falls man fliehen oder herumwandern muß.
Alles wie immer. Die Frau unterrichtet übrigens Reformislam an der Tel Aviv Universität. Als sie mir das sagte, begann ich laut zu lachen: „Na, Du hast sicher sehr viel Zuspruch. So ein Thema und dann noch als Frau, da hast Du sicher viele Freunde.“ Sie lachte und gab mir recht.
Multilinguale Familie
Eine mutige Frau. Aber immerhin: Es gibt sie. Noch dazu an der Uni in Tel Aviv. Nicht schlecht. Er, der kolumbianische Ehemann, schreibt Romane auf Spanisch. Eine multikulturelle, multilinguale Familie, es gibt so viele in Tel Aviv. Und natürlich auch anderswo. Diese Familien zeigen, daß es auch anders geht als nur monokulturell und mit Ablehnung und Abgrenzung voneinander. Fast wünscht man sich, daß solche Familien ganz viele Kinder bekommen, damit diese eines Tages hier und in Europa und überall zeigen können, daß man mit mehreren Identitäten durchaus gut leben kann – ich weiß, wovon ich spreche…
Meine Gedanken schweifen ab zu einer neuen Serie auf Amazon Prime. „Romanovs“. In der ersten Folge, die in Paris spielt, kommt eine junge Französin vor, die Hijab trägt und deren Familie aus Nordafrika stammt. Sie arbeitet bei einer Frau, die sich als Nachkomme der Romanovs bezeichnet. Sie ist total rassistisch. Und fragt immerzu, woher sie – die junge Pflegerin – denn käme. Und sie sagt nur: „Aus Frankreich. Ich bin Französin.“ Natürlich ist sie sanft und schön und modern. „Trotz“ des Hijabs. Sie spielt eine „Sympathieträgerin“ im Script. Und sie läßt den Rassismus an sich abprallen. Springt zwischen den Kulturen und den Identitäten herum und muß der Umwelt klarmachen, daß sie aus einer ganz normalen Familie kommt…
„Multi-Identital“
„Multi-Identital“ zu sein (gibt’s dieses Wort eigentlich? Wohl eher nicht…) ist nicht nur einfach und schön. Aber doch etwas Gutes und Spannendes. Und wer das nicht ist, wer sozusagen „nur“ eine Identität und Kultur hat, kann sich andere Kulturen und Identitäten – und Sprachen – dennoch aneignen. Zumindest offen sein für anderes.
Ein Gedanke zu „Multi-Identital“
Lieber Richard, Danke für Deine Berichte
„Zumindest offen sein für anderes“
Das vermisse ich oft und immer mehr.
Schalom