Ganz viele „Einzelfälle“

Haben Sie’s mitbekommen? Bereits vor einem Jahr hat ein Fahrer des Kanzleramtes sich an Felix Klein gewandt, weil er von mehreren Kollegen als „Judensau“ und „Kanake“ beschimpft worden sein soll. Und vor wenigen Tagen wurden an zwei Traktoren bei einer Demonstration von Bauern in Nürnberg rechtsextreme Plakate angebracht.

Einzelfälle

Was erzählt uns das? Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner entrüstete sich darüber, wie es sich gehört. Doch dann kam’s mal wieder: Sie nannte die Angelegenheit einen „Einzelfall“. Aha. Also nun haben wir seit einigen Jahren Hunderte, nein, Tausende „Einzelfälle“ in Deutschland und irgendwie ist ja alles ok, weil’s eben nur „Einzelfälle“ sind oder halt „Alarmzeichen“, wie AKK nach dem Angriff auf die Synagoge in Halle getweetet hat. Und ja, erinnern wir uns bitte, auch der Bundespräsident war damals ganz erschrocken und überrascht über den Angriff – weil natürlich keiner eine Ahnung hat, was sich im Lande abspielt, nicht wahr?

Schwamm drüber

Mit solchen Worthülsen von demokratischen Politikern braucht sich absolut niemand zu wundern, daß die Lage schlimmer und schlimmer wird. Weil – es sind ja nur Einzelfälle, nicht wahr? Und wir sind immer wieder auf’s neue überrascht über solche Alarmzeichen, die aber natürlich nichts, absolut nichts über die Verfassung der deutschen Gesellschaft erzählen. Es ist ja alles super in Ordnung, da gibt’s halt nur so ein paar „Störfälle“. Doof, aber… nicht so schlimm. Schwamm drüber, weiter geht’s, zum Glück nix passiert.

Weitermachen

Und daß selbst bei der Fahrbereitschaft des Kanzleramtes offensichtlich antisemitisches und rassistisches Zeug gequaselt wurde? Werden die Fahrer nicht auf Herz und Nieren geprüft und gecheckt? Und wenn ja, wie? Aber sicher, es wabert halt so in einem rum… kann man nichts machen, man kann ja in einen Menschen nicht hineinsehen, klar. Der oder die Betreffenden werden dann entfernt, man gibt sich wieder empört bis entsetzt, alles gut. Schnell vergessen, weitermachen.

Slim-Fit-Anzüge

Wie krank die Gesellschaft inzwischen ist, kann man an der Inflation von „Antisemitismus-Beauftragten“ erkennen. Der Staat und die Länder haben solche, immer mehr nichtstaatliche Institutionen ziehen nach. Es wird was getan, wird damit suggeriert. Toll. Alle zufrieden? Vielleicht wär’s besser einen „Demokratie-Beauftragten“ oder „Repekt-Beauftragten“ einzuführen? Einen, der der Gesellschaft erklärt, daß es nicht um Juden oder Muslime oder Schwarze oder Schwule geht – sondern um die Gesellschaft selbst? Daß der Angriff auf Minderheiten immer auch ein Angriff auf alle anderen bedeutet – nämlich dann, wenn die Angreifer sich entscheiden, einen neuen „Anderen“ auszuwählen? Dann kann der Andere zum Beispiel rothaarig sein (davon erzählt schon Nestroy’s „Talisman“) Oder jeder, der Bankangestellter ist? Oder jeder mit Slim-Fit-Anzügen oder was auch immer?

Aber wir lernen ja dazu: Das wären dann ja auch alles wieder nur „Einzelfälle“. Und wer keine roten Haare hat, kein Bankangestellter ist, keine Slim-Fit-Anzüge trägt, der wird sich dann wahrscheinlich auch wieder einreden: Mich kann’s nicht treffen, ich bin ja nicht gemeint. Ist doch alles ganz einfach, oder?

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