Das Rote Kreuz hat gerade gewarnt, daß Deutschland nicht ausreichend auf Katastrophen vorbereitet sei. Ausdrücklich wurden Pandemien, Wetterkatastrophen und – Cyberangriffe genannt.
Wirklich überraschend ist diese Warnung nicht. Dass Deutschland in bestimmten Bereichen dem Rest der Welt hinterherhinkt, ist offensichtlich, erlauben Sie mir dazu nur zwei – altbekannte – Stichworte zu geben: Die Deutsche Bahn und das ziemlich „löcherige“ Handy-Funknetz.
Ich lebe im Land, das zu den Spezialisten im Bereich Cybersecurity gehört. Klar, könnten sie jetzt sagen, Israel mußte sich aufgrund seiner Situation da spezialisieren.
Ich bin versucht zu sagen: klar, daß Deutschland genau in diesem Bereich so schlecht dasteht. Warum das so „klar“ ist? Oder möglicherweise so klar scheint? Ich will da gar nicht versuchen, eine „realistische“ Antwort zu geben, sondern eher eine Frage zu stellen:
Westdeutschland verließ sich auf die USA
Kann das damit zusammenhängen, daß die alte Bundesrepublik, also „Westdeutschland“, aufgrund der eigenen Geschichte, sich komplett auf die Unterstützung und Verteidigung durch die USA und die NATO verlassen mußte, und schließlich: verlassen hat? Ähnliches könnte man vielleicht auch für die DDR annehmen (Sowjetunion, Warschauer Pakt)?
Erinnern Sie sich, wie die Diskussion nach der Wiedervereinigung lief? Neben der Frage der neuen deutschen Nationalidentität kam die Frage auf, ob Deutschland nun allmählich wieder eine Mittelmacht werde und das Land deswegen nicht neue Aufgaben und vor allem: Verantwortung übernehmen muß?
„Scheckbuchdiplomatie“ oder Verantwortung?
Das tat es ja dann auch. Allmählich, zögerlich und immer irgendwie mit angezogener Handbremse sozusagen. Ja, man beteiligte sich zum ersten Mal wieder an einem Krieg aktiv (Kosovo 1999), aber nicht im Übermaß. Man war eher mit der „Scheckbuchdiplomatie“ (Genscher in Israel während des Golfkriegs 1991) vertraut, d.h. man zahlte lieber als sich aktiv, militärisch oder sonst wie, einzusetzen. Sicherlich, vieles hat sich inzwischen verändert, Deutschland ist innerhalb der EU eine Führungsmacht geworden, vielleicht sogar mehr als es vielen europäischen Staaten lieb war und ist.
Und jetzt, in Zeiten, in denen die Trump-USA ihre Führungsrolle als „Weltpolizist“ nicht mehr spielen will, hört man auch deutsche Stimmen, die sagen, man müsse für Europa neue Konzepte entwickeln, sich mehr auf die eigene Kraft verlassen, d.h. eben auch: auf das eigene Militär zur Verteidigung des Landes, der EU.
Die „angezogene Handbremse“
Aber – vielleicht täusche ich mich – irgendwie spüre ich in Deutschland immer noch die „angezogene Handbremse“. Das ehrt das Land. Es muss nach dem Nazi-Wahnsinn ja nicht gleich mit großem „Hurra“ in die militärische Verantwortung rennen. Aber es geht ja nicht nur um die militärische Verteidigung. Es geht meines Erachtens auch um eine Anerkennung der Realitäten, wie die Welt im 21. Jahrhundert sie uns vor die Füße wirft.
In manchen Städten Deutschlands habe ich immer noch das Gefühl, als ob man in „La-la-Land“ lebt. Irgendwie abgekoppelt von einer immer brutaleren Welt „da draußen“, jenseits der deutschen Grenzen. Irgendwie noch an den deutschen Wohlstand und den sozialen Frieden glaubend. Immer noch an Wachstum glaubend, während drum herum, schon in allerengster Nachbarschaft, von Wachstum kaum noch die Rede sein kann.
„German angst“
Manchmal habe ich das Gefühl, die Menschen wollen nicht wirklich kapieren, daß Deutschland nicht allein auf einer Insel der Seligen wird existieren können, wenn drum herum alles umkippt. Natürlich sind die Menschen nicht dumm. Man redet mit ihnen, sie wissen sehr gut Bescheid, was so los ist, es gibt auch die sprichwörtliche „German angst“, die im krassen Widerspruch zu stehen scheint zu dem, was ich gerade versuche zu beschreiben. Doch ich denke, das ist Teil des Problems. Es „wabert“ so vor sich hin im Ungefähren. Man hat Angst vor Katastrophen, aber man scheint sich nicht auf sie vorbereiten zu wollen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Dabei haben wir doch Katastrophen in Deutschland bereits erlebt. Ob Unwetter oder Cyberangriffe (sogar auf das Parlament) – alles ist schon da. Aber es scheint (ich sage bewußt: scheint!), als ob nichts geschehen sei.
Aufwachen, nicht „erwachen“
Vielleicht irre ich mich ja. Ich schreibe hier auch nicht Faktisches, sondern versuche eher einen Eindruck zu vermitteln, den ich in Deutschland habe, durch viele Gespräche und Beobachtungen. Und ich wünsche mir, daß Deutschland aufwacht (nein, auf keinen Fall: „erwacht“! Das hatten wir schon, danke, nicht nochmal!). Politische Diskussionen, wie im Augenblick, die sich nach der Rolle rückwärts in die Anfänge der 2000er Jahre zurücksehnen, sind absurd und realititätsverweigernd. Aber Deutschland wird gebraucht in Europa und der Welt. Im Augenblick ist Deutschland – noch – eine der stabilsten Demokratien dieses Erdballs. Man kann nur hoffen, daß dies so bleibt, so sicher ist das auch nicht mehr. Aber immerhin: Noch ist Deutschland eine Vorzeigedemokratie (ja, ja, mit vielen Schwächen, aber das ist das Wesen der Demokratie), vielleicht übertroffen nur noch von den skandinavischen Ländern und der Schweiz. Und es wäre zu wünschen, daß Deutschland sich auf seine Tugenden besinnt. Sich vorbereitet auf die Katastrophen unserer Zeit und gleichzeitig Lösungen anbietet. Lösungen in jeder Hinsicht. Lösungen für das komplexe, schwierige, gefährliche 21. Jahrhundert
3 Gedanken zu „Die Warnung des deutschen Roten Kreuzes“
« In manchen Städten Deutschlands habe ich immer noch das Gefühl, als ob man in « La-La-Land » lebt. Irgendwie abgekoppelt von einer immer brutaleren Welt da draussen, jenseits der deutschen Grenzen. Irgendwie noch an den deutschen Wohlstand und den sozialen Frieden glaubend. Immer noch an Wachstum glaubend, während drumherum, schon in allerengster Nachbarschaft, von Wachstum kaum noch die Rede sein kann. »
Ich weiss nicht, ob Menschen, die (noch) in Wohlstand und Frieden leben, die Brutalität oder soziale Unruhe aus der Nachbarschaft zu sich nach Hause holen sollen. Wem würde das nützen ? Solange dieser Wohlstand und die damit verbundene Sicherheit noch gegeben sind, ist dies doch die Realität und keine « La-La-Fantasie ». Natürlich kann alles anders werden, vielleicht schon morgen oder noch an diesem Abend, aber solange die Welt noch in Ordnung ist, warum sie « stören » ? Welche Bedeutung könnte es haben, « aufzuwachen » ?
Die Frage ist, ob Ihr Argument „_noch _ eine der stabilste Demokratien“ nicht der beste (und vermutlich einzige) Grund ist ihrer Empfehlung nicht zu folgen. Wer möchte schon ein militärisch voll einsatzfähiges, technisch durchorganisiertes Deutschland mit 100% wehrbereiter Verantwortung die es in der Welt wahrnimmt… in den Händen der AfD oder radikalerer Kräfte? Deutschland ist vermutlich nur erträglich in der Abhängigkeit von anderen…
Deutschland ist ein vergleichsweise kleines Land. Es kann in der Welt nur zusammen mit anderen gleichgesinnten Ländern wirklich etwas Positives bewirken. Da Kriege fast immer nur weitere Probleme schaffen, satt sie zu lösen, finde ich es gut, dass sich Deutschland in den meisten Fällen aus dieser Art von Auseinandersetzungen heraus hält. So bleibt es ein glaubwürdiger Partner als Vermittler bei Konflikten. Diese Rolle ist mir für Deutschland wesentlich lieber, als ein säbelrasselndes, militärisch starkes Land. Klar, muss es dazu gewappnet sein, sich selbst zu verteidigen oder Katastrophen zu meistern, aber nicht offensiv. Und dabei kann man sich in der letzten Zeit nicht mehr auf die amerikanische Unterstützung verlassen. Deshalb dringt Deutschland ja nun auch auf ein europäischen Verteidigungskonzept.
Was das große Harmoniebedürfnis vieler Deutscher betrifft: Es hat wie immer im Leben zwei Seiten. Wenn wir Deutschen streiken geht es meist nicht so gewalttätig zu, wie etwa bei den Franzosen. Gleiches gilt für Revolutionen. Doch die Kehrseite zeigt sich dann eben, wenn viele Deutsche die Augen vor einer unangenehmen oder gar schrecklichen Realität lieber schließen, wie nun vor drohenden Katastrophen, auf die wir nicht gut genug vorbereitet sind (Was allerdings bei weitem nicht für alle Deutschen gilt). Aber auch die Ermordung der unzähligen Juden während des zweiten Weltkriegs war meines Erachtens so eine Tatsache, vor der eine Mehrheit der Deutschen lieber die Augen schloss und nicht wahrhaben wollte, was in den Lagern passierte. Vielleicht trauten sie ihren Politikern solche Gräultaten einfach nicht zu. Während die Franzosen ihren Politikern seit jeher misstrauen.
Darüber, woher dieses starke Bedürfnis vieler Deutscher nach Harmonie kommt, kann man nur spekulieren. Vielleicht ist es eine Nachwirkung der preußischen Disziplin, die über die Deutschordensritter von ihrem Reich in Polen nach Preußen kam. https://www.youtube.com/watch?v=cvaU0egWgYo Oder eine Folge dessen, dass Deutschland als Land der Mitte Europas schon immer Einwanderungsland war, und deshalb auf alle immer ein hoher Druck ausgeübt wurde, sich anzupassen.