Die gute Nachricht zuerst

Die gute Nachricht zuerst: 47% der Israelis haben eine andere Regierung gewollt. Das ist fast die Hälfte der Bevölkerung. Wer also – wie dies in manchen Blättern geschieht, auch in Haaretz – nun bereits von einer Diktatur in Israel spricht, weiß nicht, wovon er redet. Das ist totaler Unsinn.

Allerdings hat diese Wahl wieder einmal gezeigt, was wir alle, die wir hier leben oder das Land seit langem beobachten, längst wußten:

1.) Das Land ist politisch tief gespalten

2.) Lange bevor es  „Identitätspolitik“ im Westen gab, hat es das in Israel schon gegeben

3.) Netanyahu hat – ganz à la Trump – den entsprechenden, schmutzigen und undemokratisch agierenden Wahlkampf gemacht. Wichtig zu wissen dabei: Bibi hat Trump nicht kopiert, sondern sich nun „entfesselt“ gefühlt, weil im Weißen Haus niemand mehr sitzt, der ihn anschließend zur Rechenschaft ziehen würde. Wenn einer Medien, Populismus und Wahlkampf früh verstanden hat – dann Bibi. Da war Trump noch Lichtjahre von der Politik entfernt. Und man muß Bibi zugestehen, daß er ein Meister in diesem Fach ist. Ob man’s mag oder nicht.

4.) Ja, Israel droht nun endgültig eine „illiberale Demokratie“ zu werden. Sie ist es aber noch nicht – auch wenn viele Israel-Basher das so sehen wollen. Noch (!) sind Polizei und Justiz unabhängig, noch gibt es eine freie Presse (und alle, die sich in den Talkbacks stets über „Haaretz“ (und weniger über Yediot) aufregen, sollten froh und dankbar sein, daß es solche eine Zeitung in Israel gibt, die kritisch kritisch kritisch ist und auch sein darf! Man muß ja nicht mit allem übereinstimmen, was da geschrieben wird. Aber wenn Haaretz eines Tages verboten werden sollte – was ich mir kaum vorstellen kann – dann wäre es an der Zeit Zeter und Mordio zu schreien.)

5.) Die arabischen Israelis sind an der Misere mitschuld. Die Wahlbeteiligung war geringer als jemals zuvor. Sie stellen aber 17% der Wahlberechtigten in Israel. Und sie hätten einen Unterschied machen können. Das Argument, sie seien sauer auf ihre arabischen Parteien und sauer wg. des Rassismus in Israel, mag ich nicht akzeptieren. Wenn man etwas anders haben will in dem Land, in dem man lebt, dann sollte man diese kleine Möglichkeit, nämlich wählen, nutzen.

6.) Ja, die „Linke“ oder das, was sich „Mitte-Links“ nennt, wird begreifen müssen, daß es keine klare – jüdische – Mehrheit für alte Programme und Kamellen gibt, die in der Vergangenheit (Stichwort: Friedensprozess) nicht funktioniert haben. Aber mehr noch: Sie muß begreifen, daß man endlich die israelischen Araber „umarmen“ muß, nicht wie Benny Gantz, der sich auf Abstand von ihnen hielt, weil er fürchtete so Stimmen von rechts zu verlieren. Denn zs. mit den Arabern in Israel hätte das liberale Lager die Mehrheit – wobei klar ist, daß nicht alle arabischen Bürger Israels „liberal“ im europäischen Sinne sind.

7.) Es wird nun sehr darauf ankommen, wie Bibi die drohende Anklage gegen sich handeln will. So ohne weiteres wird er kein Gesetz umsetzen können, daß es verbieten würde, ihn als amtierenden Premier unter Anklage zu stellen. Aber er könnte einen Justizminister einsetzen, der Gerichte und Polizei entsprechend unter Druck setzen würde. Und Bibi wird auf Verzögerungstaktik machen. Das sah man bereits am Tag nach der Wahl. Seine Anwälte sollten die Unterlagen bei der Staatsanwaltschaft abholen, die nötig sind, damit sie ihn auf das Hearing vorbereiten können. Doch die Anwälte „weigerten“ sich, da Bibi sie bis heute nicht bezahlt habe, er schulde ihnen 2 Millionen. Bevor er nicht gezahlt habe, ginge nix. Keine 24 Stunden nach der Wahl, begannen bereits die „Tricks un‘ Sticklechs“.

8.) Auch wenn ganz Tel Aviv trauert und verzweifelt ist – es kommt nun darauf an, ob die Gesellschaft in der Lage sein wird, Alternativen zu entwickeln, ob sich vor allem Avoda und Meretz neu erfinden können und ob Blau-Weiss als Opposition gute Arbeit wird leisten können. Noch scheint nicht alles „verloren“ zu sein. Sollte Bibi tatsächlich abdanken müssen in dieser Legislaturperiode, kommt es darauf an, daß Gantz & Co. bereit stehen, um zu übernehmen.

 

2 Gedanken zu „Die gute Nachricht zuerst

  1. Naja. In den Punkten eins bis acht ist doch auch noch die Mühe um Optimismus zu erkennen. Ich glaube auch nicht, dass Israel nun Gefahr läuft in eine „illiberale Demokratie“ abzurutschen. Auf der anderen Seite hat nun ein Drittel der Regierung den Wunsch, die Sehnsucht und die Vision, Israel möge ganz im Sinne des Religionsgesetzes regiert werden – und das ist mit einem freiheitlich-demokratischen Grundverständnis nicht vereinbar. Heute und morgen wird sich die Halacha jedoch noch nicht als „law of the land“ durchsetzen.

    Und wenn Israel jetzt auch keine illiberale Demokratie ist, so finde ich die faschistischen Tendenzen – ähnlich wie in anderen Demokratien – bedenklich. Damit meine ich dieses „wir“ und „die anderen“-Denken, bei dem „die anderen“ nicht nur die Palästinenser sind, sondern auch die Liberalen, die Linken, und dieses Denken ist obendrein geschützt, da religiös gerechtfertigt. Da bedarf es wahrscheinlich keiner klassischen Linken, sondern eines echten Widerstands.

  2. Ich hatte beim Lesen dieses Blog-Beitrages bei Ihrer Aussage, dass die arabischen Israelis eine Mitschuld am Wahlausgang träfe, ein Déjá-vu: Ex-Papst Benedikt hatte vor 2 Tagen die 68er mitverantwortlich für die sexuellen Missbrauchsskandale der katholischen Kirche gemacht.
    Geht´s noch! Bei der Motivation der arabischen Israelis kann ich ein wenig mitreden, da die Lebenspartnerin eines meiner Söhne arabische Israelin ist. „Nur die dümmsten Kälber, wählen Ihre Schlächter selber“, hat einst Erich Kästner geschrieben. Also: so dumm waren die arabischen Israelis offensichtlich nicht. Sie selber schreiben doch, dass auch die Blau-Weißen mit Benny Gantz sich aus wahltaktischen Gründen von den „Arabern“ abgegrenzt haben. Diese Menschen fühlen sich – nicht erst seit dem Nationalstaatsgesetz – als Bürger 2. Klasse und sie sind es ja auch. Daran ändert die Tatsache nichts, dass die Lebensumstände der arabischen Israelis deutlich besser sind, als die der meisten Menschen in den arabischen Nachbarstaaten Israels. Von Ihrem Freund Natan Sznaider sollten Sie wissen, dass mit der Verbesserung der Lebensumstände das Bewusstsein für die noch bestehende Diskrimierung wächst (Aussage in Bezug auf die Misrachim im Buch „Gesellschaften in Israel“). Übrigens eine Erkenntnis, die wir auch in Deutschland mit unseren türkischen Mitbürgern gemacht haben, was sich an deren großer Unterstützung für den Autokraten Erdogan ablesen lässt. Die Rubrizierung von Menschen (die Araber, die Linken, die Türken, die Arbeitslosen etc.) mit dem Ziel, Individuen kollektive „Eigenschaften“ zuzuschreiben ist äußerst gefährlich. Ich erinnere an den berühmten Ausspruch von Martin Niemöller: „Als man die Juden holte, habe ich nicht protestiert, denn ich war ja kein Jude. Als man die Kommunisten holte…“
    Kurz zurück zum Ausgangspunkt. Die gut ausgebildeten arabischen Israelis sehen ihre Zukunft häufig nicht in Israel, vielleicht die linksliberalen Nerds in Tel Aviv demnächst auch nicht mehr. Man darf gespannt sein, wie die von Netanjahu angekündigte Annektion jüdischer Siedlungen im Westjordanland vonstatten geht, denn an einer Einbürgerung der dort lebenden „Araber“ hat er sicher – wie auch eine Mehrheit der jüdischen Israelis – kein Interesse. Insgesamt nicht gerade rosige Aussichten.

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