Wieder einmal in Deutschland, wieder einmal ein Abend mit Gesprächen, die … irgendwann bei Israel landen. Nun gut, die Menschen sind neugierig, ich lebe dort, sie wollen halt etwas wissen. Soweit ok. Natürlich gehen die Fragen schnell in Richtung Nationalstaat-Gesetz und sie gehen auch in Richtung der Befragungen von »linken« Juden und Nichtjuden, die in letzter Zeit nach Israel einreisen wollten. Das ist eine Praxis des Shin Beth, des Inlandsgeheimdienstes, die schon länger existiert, aber vor allem in der letzten Woche international Schlagzeilen machte, weil der bekannte jüdisch-amerikanische Journalist Peter Beinart (The Atlantic, CNN u.a.) bei seiner Einreise eine Stunde lang befragt wurde. Er wollte zur Bar Mitzwa eines Familienangehörigen. Peter, den ich kenne, weil wir uns zweimal zu Gesprächen getroffen haben, ist ein großartiger Journalist, ein Mann, der Israel liebt, sich als Zionist versteht, aber die derzeitige Regierung kritisiert und ablehnt. Ich bewundere seine klare Linie, auch wenn ich nicht immer mit allem einverstanden bin, was er sagt oder denkt.
Skandal um Peter Beinart
Als er öffentlich machte, daß er festgehalten und befragt wurde, war das ein solcher Skandal, daß Premier Netanyahu schnell reagieren mußte. Er erklärte, daß es sich um einen verwaltungstechnischen Irrtum gehandelt hat, es täte ihm leid, natürlich wolle man niemanden an der Grenze festhalten etc.etc.
Nun, ich bin überzeugt, daß es keinen »Befehl« von ganz oben gibt, alle »Linken« festzuhalten und zu befragen. Aber – es gibt eine gewisse Atmosphäre, die sich breit macht, die dazu führt, daß einige Shin Beth-Chefs wohl meinen, in einer Art »vorauseilendem Gehorsam« gegen solche Leute vorgehen zu müssen. Wobei im Falle von Beinart die Befragung, wie er sie schilderte, absurd war. Alles, was Peter gefragt wurde, hätten die Sicherheitskräfte aus dem Internet googlen können.
In Israel gibt es große Aufregung darüber. Zu recht. Und das ist auch gut so. Wenn die Israels eine liberale Demokratie sein wollen und nicht nur eine »elektorale Demokratie«, dann müssen sie sich jetzt entscheiden, wohin die Reise gehen soll.
Ein Schiff mit Flüchtlingen
Aber zurück zu meinem Abend. Ich werde also befragt. Viele sind empört über das, was in Israel derzeit geschieht. Ok, das ist ihr gutes Recht, ich finde ja auch solche Vorgänge mehr als problematisch. Aber als diese Empörung dann allmählich, im Lauf des Abends, in richtige Wut auf Israel umschlägt, da reagiere ich: Warum seid ihr eigentlich nicht so empört und aggressiv und laut gegenüber den Vorgängen in der Türkei, in Polen, Ungarn, Österreich, in Italien oder Russland? Während wir da saßen und diskutierten, irrte ein Schiff mit Flüchtlingen auf dem Mittelmeer herum, weil kein Land das Schiff in seine Häfen einlassen wollte. EU-Länder, wohlgemerkt. Keine lautstarke Empörung. Kein Zitieren von Menschenrechten, nichts. Strache? Salvini? Orbán? Ein Achselzucken. Ja, schrecklich, schrecklich … aber Israel …
Wir erwarten etwas anderes von Israel
Ja, warum denn immer Israel, frage ich? Und die Antwort, die kannte ich schon:
»Weil wir von Israel etwas anderes erwarten als von anderen Ländern.«
Warum eigentlich? Ja, warum eigentlich? Warum müssen die Juden immer »besser« und »besonderer« sein als alle anderen?
»Ja, weil Juden sich doch für das auserwählte Volk halten.« Ach ja? Das ist der Grund?
»Ihr haltet euch doch immer für etwas Besonderes!«
Das »auserwählte« Volk
Ist das so? Nun, erst mal zurück zum Begriff des »auserwählten Volkes«. Der Begriff hat ursprünglich nichts mit der Frage, ob man besser ist als jemand anderer, zu tun. In der jüdischen Überlieferung heißt es, daß Gott herumgegangen ist und alle Völker gefragt hat, ob sie die Halacha, die 613 Ge- und Verbote seines Religionsgesetzes, übernehmen wollen. Alle Völker lehnten dankend ab. »Nö, ist zu anstrengend und zu schwierig«, sagten sie. Sie mußten daher nur die sieben »Noachidischen Gebote« übernehmen. Ein Volk aber sagte:»Ja, her damit, wir wollen die Halacha« – und das war das jüdische Volk, das damit zum »auserwählten« wurde, weil es sich für dieses anstrengende Joch von Ge- und Verboten entschieden hatte.
Naja, viele würden sagen: Die Juden sind nicht besser, sondern doofer, wozu haben sie sich dieses anstrengende Leben ausgesucht? Ist ’ne gute Frage. Auf alle Fälle, hatte der Begriff »auserwählt«, aber nichts mit einem Überlegenheitsgefühl zu tun, sondern einfach mit der Entscheidung für die Halacha.
Aber sind Juden nicht doch überlegen?
Doch fühlen sich Juden nicht den Nichtjuden überlegen? Psychologisch ist die Frage relativ einfach zu beantworten. Über Jahrhunderte verfolgt, unterdrückt, ohne Rechte, schwach, arm, von der Gesellschaft ausgegrenzt, ausgeschlossen, viele Berufe verschlossen – naja, was machen dann Menschen, die so erniedrigt werden? Sie beginnen sich besser zu fühlen als ihre Peiniger. Weil nur das ihnen Kraft zum Überleben gibt. Wir sind arm, wir werden verfolgt, ermordet? Untedrückt? Ja, aber die Mächtigen sind weniger wert als wird. Ätsch! Übrigens: Die frühen Christen reagierten auf ihre Unterdrückung und Verfolgung ganz ähnlich.
Immer dieselbe Quelle
Aber ist dieses »Überlebenheitsgefühl« (das b schreibe ich absichtlich: Überle b(g) enheitsgefühl) der Grund, warum »die Anderen« von Israel »mehr erwarten« als die anderen? Nein, natürlich nicht. Dieses »mehr« speist sich aus immer derselben Quelle: Antisemitismus.
Denn es gibt die, die nach dem Holocaust »gelernt« haben, daß Juden etwas Besseres sind. Darum liebt man sie jetzt inniglich – um eines Tages enttäuscht, wütend, aggressiv zu reagieren, wenn diese Judenliebhaber merken, daß die Juden einfach nur wie sie selbst sind. So gut und so schlecht und so stark und so schwach wie alle anderen.
Na, und dann gibt es natürlich die, die auf Israel als »jüdischen Staat« mit derselben Obsession gucken wie all früheren Generationen auf Juden geschaut haben: Wo man Juden einfach grundsätzlich anders, schlechter, mit größeren Vorurteilen betrachtet hat. Nun ist es nicht mehr »der Jude«, sondern »Israel«.
Und wer will das schon
Womit keineswegs gesagt ist, daß die Dinge in Israel sich gut und richtig entwickeln. Womit natürlich nicht gesagt ist, daß man Israel – wie dann jene Menschen gerne sagen – nicht kritisieren darf. Darf man. Soll man. Aber nicht mehr und nicht weniger als alle anderen. Und auch sich selbst. Das täte nämlich manchmal auch nicht schaden. Einfach mal gucken, was im eigenen Land schief läuft. Da kann man nämlich aktiv etwas tun. In einem anderen Land nicht unbedingt. Aber das ist natürlich schwerer. Weil man sich aus seinem bequemen Sessel erheben müßte. Und wer will das schon …
4 Gedanken zu „Da erwarten wir etwas anderes…“
• Auf die Empörung der anderen über Israel mit einem ‘Und, was ist mit der Türkei, mit Polen, mit Ungarn, und im übrigen schippern da gerade wieder Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, die keiner der europäischen Gutmenschen aufnehmen will…’ zu reagieren, hat im Englischen mittlerweile einen Namen – WhatAboutism (~ … und was ist mit … ?). Das heisst, einer übt Kritik, und der andere antwortet ganz einfach ablenkend mit Gegenkritik zu einem anderen Gegenstand. Das ist billig…
• ‘Das auserwählte Volk’ – Wenn Nichtjuden über Juden sprechen und dabei von deren Auserwähltheit sprechen, so kommt dieser Begriff immer wie ein Bollwerk – schlicht gesagt, mit viel Gewicht in der Stimme, zynisch – und letztlich mit antisemitischer Konnotation. Das habe ich auch immer so erlebt, wobei es da konkret immer zwei bestimmte « Kritikpunkte » gegeben hat : Zum einen der Eindruck, dass « die Juden » machen können, sich erlauben können, was sie wollen… sie sind ja « auserwählt », ausserdem wirkt der Holocaust schuldmildernd, und also haben sie einen Freifahrtschein und dürfen sich alles erlauben und zum anderen, tiefer sitzend, ist es ja so, dass das « auserwählte » Volk sich bis zum heutigen Tag stur, arrogant und verblendet weigert, den christlichen Messias anzuerkennen.
Für diejenigen, denen ihre Religion viel bedeutet, ist das natürlich gefährlicher Zündstoff, und in jüdisch-christlichen Gruppen wird man sich stets bemühen, einander als Menschen zu begegnen, ohne sich gegenseitig bekehren oder « Wahrheit » diskutieren zu wollen. Fundamentalisten suchen das Weite, aber die Frage danach, wer denn nun Recht habe, steht weiter ungeklärt im Raum.
• Auserwählung in der jüdischen Überlieferung. Diese Auserwählung bedeutet wohl, dass religiöse Juden es erst einmal so verstehen, dass Gott mehr von ihnen erwartet als von anderen. Folglich erwarten Juden auch mehr von sich selbst als andere von anderen erwarten.
In der Praxis sind « Juden » jedoch nicht nur jene, die sich im Alltag diesen 613 Geboten verpflichtet fühlen und streng danach leben. Das kann für Nichtjuden verwirrend sein, da sie manchmal denken, Juden müssten so oder so sein, entsprechend dieser Gebote. ‘Sind die Leute, die sich nicht daran halten, überhaupt Juden ?’ etc.
• Ein jüdisches Überlegenheitsgefühl, gibt es das ? – Ja, ganz einfach aus den Gründen, die R.C. Schneider hier anführt, aber nicht nur.
Es gibt auch ein Überlegenheitsgefühl, das aus der Religion selbst fliesst, nämlich in Form der Vorstellung, dass Juden – alle Juden – einem priesterlichen Geschlecht angehören und dass das messianische Königreich dereinst das ihre sein werde, und so werden Frauen zum Beispiel dazu angehalten, sich in royaler Weise würdig zu verhalten und züchtig zu kleiden – hoch geschlossen, Strumpfhose, langer Rock, gedeckte Farben etc. Das äusserlich bescheidene Auftreten ist im Inneren Ausdruck erwartungsvoller royaler Überlegenheit.
• ‘Juden sind Menschen wie alle anderen.’ – So sprechen säkulare Juden, nicht religiöse. Und säkulare Juden kann es extrem nerven, wenn Nichtjuden glauben, sie müssten « besser » sein. Sie wollen sein wie jeder andere, und um das unter Beweis zu stellen, sind sie dann schon auch einmal « schlechter » als irgendein anderer Normalo. Alles, nur bitte, bitte keine Sonderstellung, kein Sonderstatus, keine Sonderbehandlung !! Zugleich gehört diese besondere Fremdwahrnehmung so sehr zur eigenen DNA, dass sie am Ende niemand wirklich missen will. « Auserwählt » – und kein Entkommen.
• Wenn Juden sich für Israel rechtfertigen müssen. – Das findet immer und überall statt, also nicht nur Juden betreffend. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mich in den 90er Jahren als Deutsche von einem amerikanischen Juden in den USA genötigt sah, mich für Kohl und die Wiedervereinigung zu rechtfertigen, oder aufgrund familiärer Verbindungen in die USA wirft meine Mutter mir heute gerne so ein « Euer Trump bringt die ganze Welt durcheinander ! » an den Kopf. Ich bin in den USA nicht wahlberechtigt, aber grundsätzlich tragen wahlberechtigte Bürger eine gewisse Mitverantwortung für das, was in ihrem Staat vor sich geht ; letztlich taugt solches In die Verantwortung genommen Werden von Dritten jedoch nur zur Unterhaltung beim Dinner oder am Stammtisch oder am Telefon. Es ist unterhaltsam, aber nicht wirklich bedeutsam.
In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhuderts lebte ich einige Zeit in München. Wenn ich an dem imposanten Mietshaus in der Prinzregentemstraße 16 vorbeikam, jenem Haus in dem Adolf Hitler eine luxuriöse Etage angemietet hatte, schwenkte ich meinen
Blick stets auf die schräg gegenüber liiegende Strtaßenseite. Dort wies eine Schrifttafel über einem Zugang auf eine jüdische Institution hin, ich weiß nicht mehr ob es ein Nachbarschaft-Bethaus, eine Jeschiwa oder sonst was war, aber ich weiß noch ganz genau, dass ich mich unbändig darüber freute, das sich vis à-vis der ehemaligen Behausung des Judenhassers und gründlichst gesvcheiterten Vernichters der „jüdischen Rasse“, sich vietzig Jahre später Juden versammelten. Ob soetwas auch Antisemiten wahrnehmen? Ich wünsche es mir, mögen sie sich darüber ruhig grün und blau ärgen.
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was die Goim nicht mögen: ein Volk,dass sich aus der Sklaverei befreit hat,ein Volk ,dass sich Gesetze gegeben hat,ein Volk,dass sich wehrt ,ausgerottet zu werden,obwohl ihm diese Rolle(von den Goim)nicht zugedacht war. Wir entspechen nicht mehr dem fast 2Tausend Jahre altem Bild einer Minderheit,deren Überlebensstrategie nur die Flucht war.Jeder Krieg mit seinen Nachbarn bedeutete für Israel einen Überlebenskrieg.Das wird mit dem Iran gensuso sein.
1954 haben die Nazis und somit all diejenigen, die ihren Anti-Semitismus / Anti-Judaismus teilten, den Krieg verloren. Aber wie naiv ist das denn zu erwarten, dass all die Menschen den 2000 Jahre alten Judenhass, der ihnen von der christlichen Kirche indoktriniert wurde, auch verloren hätten. Und genau aus diesem Grunde – dem ewig währenden Anti-Judaismus / Anti-Zionismus brauchen die Juden ein starkes und großes ISRAEL, in dem die Nicht-Juden gleich gut und gleich schlecht behandelt werden wie die Juden – aber in dem Moment, in dem sie sich gegen den Staat wenden und mit Terroristen und Israelfeinden solidarisieren, vor Gericht gebracht und verurteilt werden.