Wenn Viktor Orbán heute Abend in Israel zu seinem Staatsbesuch ankommt, um „seinem Bruder im Geiste“, Benjamin Netanyahu morgen die Hand zu schütteln und gemeinsam politische Strategien und Pläne zu schmieden, dann muß ich zuerst an Bibis Aktion im Sommer 2017 denken.
Der israelische Botschafter reagiert
Orbán hat eine Plakat-Aktion gegen den ungarisch-jüdischen Milliardär George Soros gestartet, die eindeutig, in Darstellung und Text, antisemitische Züge trug. Das ungarische Judentum, das schon lange den verdeckten Antisemitismus von Orbán und seinen Freunden fürchtet, wandte sich an den damaligen israelischen Botschafter in Budapest mit der Bitte um Hilfe. Jossi Amrani tat dies und veröffentlichte ein Statement, in dem Orbán aufgerufen wurde, die Kampagne zu stoppen. Doch Bibi kassierte am nächsten Tag das Statement, zwang das israelische Außenministerium, dieses zurückzuziehen. Netanyahu wiederum gab selbst ein Statement ab, in dem er klarmachte, daß es keine Absicht gegeben hätte, die Kritik an Soros nicht zuzulassen, also Kritik an jenem Mann, der „ununterbrochen versucht, die demokratisch gewählten Regierungen in Israel zu unterminieren, in dem er – Soros – Organisationen finanziert, die den jüdischen Staat diffamieren und ihm das Recht auf Selbstverteidigung absprechen.“ Bumm!
Eine Ohrfeige für das ungarische Judentum
Das war nicht nur eine Klatsche für Amrani. Es war eine Ohrfeige für das ungarische Judentum, gegen das sich der israelische Premier stellte. Warum? Weil ihm die politischen Interessen Israelis, also s e i n e Interessen, wichtiger sind als alles andere. Weil er sich mit Orbán bestens versteht. Sie sind sich einig, was den Liberalismus, die EU, die Flüchtlinge, die Demokratie betrifft. Und während Orbán mittlerweile ziemlich erfolgreich seine „illiberale Demokratie“ in Ungarn durchdrückt, muß sich Netanyahu nach wie vor mit den Medien, dem Obersten Gericht und anderen politischen Faktoren herumschlagen – was Orbán bereits hinter sich hat.
Gemeinsam gegen die EU
Sind Orbán und Netanyahu gute Freunde? Kaum zu glauben. Netanyahu ist alles, aber nicht dumm. Ihm ist klar, wer oder was Orbán ist. Aber er braucht ihn, so wie er die Visegrad-Staaten insgesamt braucht. Denn Orbán ist für ihn ein Garant dafür, daß die EU nicht mehr einheitlich zum Thema Palästina und Iran spricht.
Was nichts daran ändert, daß man sich beim Umbau der Gesellschaftsordnung einig ist. Demagogie, Beeinflußung oder Übernahme der Medien, das Schüren von Angst- und Feindbildern, Verfassungsänderungen zu eigenen Gunsten – alles scheint erlaubt. In Israel funktioniert das noch nicht so sehr wie in Ungarn, zum Glück. Hoffentlich bleibt dies auch so. An manchen Tagen mag man allerdings nicht so recht daran glauben. Und die Bilder, die wir nun zwei Tage aus Jerusalem zu sehen bekommen, mag man sich auch nicht so recht anschauen wollen… Netanyahu, lächelnd vereint ausgerechnet mit Orbán.
2 Gedanken zu „Brüder im Geiste“
Ich finde es sehr verwirrend. Das Wort „Faschist“ wird oft gebraucht. Viktor Orban wird oft als faschistisch bezeichnet. Wenn Orban Faschist sei, und das Hauptmerkmal des faschistischen Gedankenguts Antisemitismus sei, und Orban von Netanjahu als Bruder im Geiste bezeichnet wird, was bedeutet die Bezeichnung „Faschist“ überhaupt noch?
Ersetzen Sie Antisemitismus durch Xenophobie und Islamophobie und es sieht gleich ganz anders aus. Israel kann sich weder rückkehrwillige Enkel von einst vertriebenen Palästinensern leisten noch möchte die Regierung eriträische und sudanische Asylbewerber. In beiden Fällen fürchtet man um das demografische Gleichgewicht.
Ausserdem handelt es sich um einen gutbewaffneten, wehrhaften Staat in dem das Militär hohes Ansehen genießt. Unterschied ist allerdings das dies aus konkreten Gründen so ist.