Bilder auf der Haut und Mesut Özil

Die Kommentare gestern zu meinem Blog über Tattoos waren teilweise überraschend. Da wurde mir mangelnde Toleranz vorgeworfen, die Lust am Kritisieren und was auch sonst noch. Wow! Waren das »typisch deutsche« Reaktionen? Alles ganz bierernst? Keine Ahnung. Aber eigenartig fand ich es schon. Zunächst einmal: niemand muß meine Meinung bezüglich Tattoos teilen, ist doch eigentlich klar, oder?

 

Tattoos und Freundschaft – kein Widerspruch

Aber wie ist das mit der von einigen geforderten „Toleranz“? War, bin ich das nicht? Ich denke, daß dies manchmal ein generelles Problem in Deutschland geworden ist. Der Umgang mit einer anderen Meinung, die nicht die ist, die man selbst hat. Intolerant wäre ich m.E., wenn ich tatsächlich fordern würde, daß Menschen aufhören sich zu tätowieren, daß sie keine Jobs bekommen sollten, wenn sie tätowiert sind, daß ich mit ihnen nicht befreundet sein möchte oder was auch immer. Daß ich Tattoos nicht mag, ändert nichts an der Tatsache, daß ich selbstverständlich Freunde habe, die tätowiert sind. Sie sind meine Freunde. Punkt. Sie wissen, daß ich keine Tattoos mag. Ok. Soweit so gut. Nicht mehr, nicht weniger. Als Freunde finden sie auch an mir Dinge nicht gut. Aber auch das tut einer Freundschaft, einer echten Freundschaft, keinen Abbruch. Eine frühere Lebensgefährtin, die mir bis heute lieb und teuer ist, ist tätowiert. Hat das meine Gefühle für sie beeinflußt? Nein, natürlich nicht. Also worum geht es dann?

Muß ich Tätowierung oder sonst irgendwas anderes »mögen«, um »tolerant« zu sein? Toleranz heißt doch, den anderen zu akzeptieren, auch in seinem anders sein. Deswegen muß ich aber noch lange nicht mögen, was die Person macht. Oder wie sie sich – in diesem Fall – schmückt.

 

Toleranz, politischer Diskurs und Mesut Özil

Man kann dieses Problem auch auf die Politik, die Gesellschaft, die Kultur schlechthin übertragen. Auf den politischen Diskurs, auf alles. Und damit bin ich bei Mesut Özil. Was der DFB da derzeit betreibt, finde ich, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken, ziemlich problematisch und »intolerant«.

Fand ich es richtig, daß Özil und sein Kumpel Gündogan sich mit Erdogan haben abbilden lassen? Zunächst einmal habe ich ein Problem mit einem Politiker, der auf dem Weg zum Diktator ist. Mit so einem möchte ich mich grundsätzlich nicht abbilden lassen. Insofern finde ich Özil und Gündogan politisch zumindest »naiv«. Und ja, als deutsche Staatsbürger und Repräsentanten der Bundesrepublik im deutschen Nationaltrikot hätten sie sich überlegen müssen, ob das richtig ist, was sie da machen.

 

Schweigen ist nicht immer Gold

Und ja, Özils Entscheidung, stur zu schweigen, ist sicher auch nicht glücklich. Aber was der DFB gerade macht, dieses Mistkübelausgießen auf Özil? Und ihn inzwischen fast schon zum Alleinverantwortlichen für den Mißerfolg in Russland zu stilisieren? Wow! Es darf sich niemand beim DFB wundern, wenn den Verantwortlichen am Schluß auch noch Rassismus vorgeworfen würde. Man hätte sich das vorher überlegen müssen, ob man die beiden Spieler überhaupt mitnimmt nach diesem Foto. Aber wenn man es dann tut – hey, dann geht so ein Nachtreten auch nicht.

Und überhaupt, wo ist eigentlich der Herr Bundestrainer? Warum sagt der nichts? Warum stellt er sich nicht vor seine Spieler? War doch seine Entscheidung, Özil mitzunehmen. Hey… Jetzt wäre Toleranz angebracht. Ja, die beiden Spieler waren schlichtweg doof. Ja, Schweigen ist nicht immer Gold. Aber vor allem Özil jetzt so an den Pranger zu stellen? Und noch dazu Wochen nach dem »Ereignis«? Ist alles schon sehr merkwürdig, worüber in Deutschland derzeit so gestritten wird.

Aus der Ferne ist dieses Land kaum wiederzuerkennen. Oder ist das alles nur dem »Sommerloch« geschuldet? Aber was soll’s, wenn man nach London blickt, da geht’s gerade noch absurder zu, hier in Jerusalem sowieso … Im Irrsinn, in dem wir alle überall leben, ist also alles wie immer. Also: konstant. Konstanter Irrsinn. In diesem Sinne … Tschüs, bis morgen.

 

Richard C. Schneider, Tel Aviv

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