Wien, mein Wien…

Gestern hatte ich einen wunderbaren Abend. Ich traf sehr liebe Freunde aus Wien, die ich fast 17 Jahre nicht mehr gesehen habe. Umso schöner war das Wiedersehen und noch schöner war, daß wir gar nicht fremdelten, sondern unseren Gesprächsfaden einfach so wiederaufnehmen konnten, wo er damals geendet hatte. Daß wir uns so lange nicht gesehen haben, ist so das Übliche, was in einem Leben manchmal geschieht. Man ist viel unterwegs, man hat zeitlich oder örtlich keine Überschneidungen, auch wenn man immer voneinander und übereinander wußte.

Indirektes Reden mit der FPÖ

Wir sprachen natürlich gestern auch über das, was in Österreich los ist. Was meine Freunde mir erzählten, war noch besorgniserregender als das, was man sowieso schon aus den Zeitungen weiß. Sie beschrieben aber auch, daß der öffentliche Protest kaum vorhanden sei. Ja, ab und an mal eine Demo, aber nicht wie früher, als wir noch jung waren und für jeden Quatsch auf die Straße liefen. Die jüdische Gemeinde hat zwar eine klare Haltung zur FPÖ – sie vermeidet jeden Kontakt. Aber langfristig wird das nicht durchzuhalten sein. Da die FPÖ z.B. das Innenministerium leitet und dieses auch für die Sicherheit der jüdischen Gemeinden zuständig ist, wird man nicht drumherum kommen als zumindest indirekt eben doch mit der FPÖ zu reden. Das ist dann die allmählich Anpassung an eine Realität, die man nicht will. Und so macht man – nolens volens – eine Partei wie die FPÖ hoffähig.

Ans Weggehen denken meine Freunde nicht. Auch da ist sozusagen die „normative Kraft des Faktischen“ daran „schuld“. Man hat Verpflichtungen, eine Firma, ein Kind noch in der Schule… es gibt natürlich viele Gründe. Und nicht jeder ist zum Wandervogel geboren, wie ich.

Ob GOP oder Kurz: Die Steigbügelhalter

Was nach einem solchen Abend und den Gesprächen über Wien – wo ich übrigens in den 80er Jahren gelebt habe – übrig bleibt, ist mein Ärger über Sebastian Kurz. Politiker wie Kurz sind die Steigbügelhalter für all diejenigen, die man als anständiger Demokrat nicht im politischen Establishment sehen will. Überall geschieht das. Auch in den USA, z.B., wo die GOP, anstatt sich zu distanzieren von Trump, ihn irgendwann „embraced“ hat – auf Kosten der Demokratie, wie wir ja fast täglich sehen können.

Müssen erst Bücher brennen? Oder Menschen?

Sehr nachdenklich bin ich gestern nach Hause gegangen. Es war ein wunderschönes Wiedersehen, doch was ich aus Wien gehört habe, macht mich noch trauriger als ich es eh schon bin. Aber es macht mich allmählich auch wütender, vor allem wenn Menschen in Europa immer und immer wieder behaupten, es werde schon nicht so schlimm „kommen“. Auch in meinem Bekanntenkreis habe ich solche Menschen. Ich frage dann immer zurück, was denn geschehen muß, bis auch sie begreifen, daß die Demokratie in Gefahr ist? Müssen erst wieder Bücher brennen oder Häuser oder Menschen? Was muß eigentlich geschehen, damit sich echter Widerstand regt? Von den Politikern haben wir nichts mehr zu erwarten, das sehen wir doch jeden Tag. Wann stehen die Menschen auf und beginnen das zu verteidigen, was ihnen wahre Sicherheit und Freiheit garantiert?

4 Gedanken zu „Wien, mein Wien…

  1. Lieber Richard. C. Schneider,

    ich folgte in der Vergangenheit Ihrem Video-Blog „Zwischen Mittelmeer und Jordan“, folge Ihnen heute auf Twitter und hier in Ihrem Blog und lese zur Zeit interessiert Ihr Buch „Alltag im Ausnahmezustand“. Auch wenn ich manchmal nicht ganz Ihren Aussagen zustimmen kann – besonders hinsichtlich des Verhältnisses zu Russland sehe ich manche Dinge anders, aber das mag an unterschiedlichen Sozialisationen liegen, Sie wuchsen im Westen Deutschlands auf, ich im Osten -, so achte ich doch Ihre Art Journalismus, die sich wohltuend vom sonst üblichen Mainstream abhebt.
    Sie schreiben im aktuellen Blog-Beitrag, dass Politiker wie Kurz in Österreich „die Steigbügelhalter für all diejenigen“ sind, „die man als anständiger Demokrat nicht im politischen Establishment sehen will. Überall geschieht das. Auch in den USA“, ja, auch in Großbritannien, in Frankreich, in Schweden, Italien, Deutschland. Da heißen die Steigbügelhalter dann Seehofer, Söder, Boris Johnson, Berlusconi.
    Das sind ja keine nationalen politischen Prozesse, sondern eher globale Erscheinungen der sogenannten westlichen Industrieländer. Und sie gehen ja einher mit anderen Krisenprozessen: Eurokrise, Schuldenkrise, Erodierung der Europäischen Union, Handelskrieg, Zerfall des transatlantischen Bündnisses, Krise des Journalismus. Das sind ja alles keine gottgewollten Ereignisse sondern die Ergebnisse konkreter, von Menschen gemachter Politik.
    Ist es nicht an der Zeit, die Ursachen für diese Krisenprozesse in der jahrzehntelangen neoliberalen Politik der bürgerlichen Regierungen der westlichen Industrieländer zu suchen, an der auch linke Parteien, in Deutschland etwa die SPD, mitgewirkt haben? Muss man in diesem Zusammenhang die Frage nach den Steigbügelhaltern nicht viel weiter denken?

    Freundliche Grüße
    Peter Thümmler

  2. Sebastian Kurz hat unseren ganzen Respekt für diese klare und demokratische Politik, die im Sinn aller friedliebenden! Bürger Österreichs handelt. Wir würden einen Kanzler Kurz in Deutschland sehr begrüßen! Sie erlauben an dieser Stelle ein Zitat: Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz, wer mit 40 noch links ist, hat keinen Verstand. Unsere herzlichen Grüße an die wunderbare Stadt Wien, die wir in den Jahren 2003 bis 2007 als eine weltoffene, moderne und sichere Stadt erleben durften. Linke Politik – und dazu zählen alle totalitären Ideologien, auch der Nationalsozialismus sowie der Islamfaschismus – hat den Menschen überwiegend Leid in Form von Diktatur und Freiheitsberaubung gebracht. Extremismus ist in jeder Form zu bekämpfen; egal, ob er von den Rotbraunen kommt oder eine „friedliebende“ Religion für faschistische Eroberungszüge nutzt! In heutigen linksgrün dominierten Zeiten müssen wir bewußt die Errungenschaften der Aufklärung schützen! In diesem Sinn verbleibe ich mit besten Grüßen – A. Aurin

    1. Zitat Aurin: „Linke Politik – und dazu zählen alle totalitären Ideologien, auch der Nationalsozialismus…..“ DbDdhkPSKv haben wir als Kinder früher gesagt. Wers nicht mehr kennt, hier die Übersetzung: Doof bleibt Doof, da helfen keine Pillen. Selbst Kukirol versagt.

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