Wieder Tieropfer?

Also wieder Tieropfer…..? Gestern war Tisha be‘Av. An diesem Tag, den 9. Av (ein Monatsname im jüdischen Kalender), wurden sowohl der Erste, wie auch der Zweite Tempel in Jerusalem zerstört (der jüdische Tempel, natürlich). Der Zweite Tempel wurde von Titus zerstört, 70 n.Chr. Wenn man in Rom zum Titusbogen auf dem Forum Romanum geht, sieht man dort, wie die Menorah von Juden geschleppt wird, Juden, die in die römische Sklaverei gehen mußten. Ein Triumphbogen zu Ehren des großen Sieges. Für fromme Juden ist Tisha be‘Av ein Trauertag.

Gestern begann aber auch Eid-al-Adha, das muslimische Opferfest in Erinnerung daran, daß Ibrahim (Abraham) seinen Sohn opfern wollte.

Nationalreligiöser Tourismus

Fanatische nationalreligiöse Juden gingen gestern hinauf auf den Tempelberg. Es kam – mal wieder – zu heftigen Zusammenstößen zwischen Muslimen und der Polizei. Für die Muslime ist es eine Provokation, wenn Juden dorthin kommen, wo Al-Aksa-Moschee und Felsendom stehen, für die Nationalreligiösen ist es ein „Recht“, schließlich ist das Israel und der Ort, wo das größte jüdische Heiligtum stand und insofern „dürfen“ sie überall hin, wohin sie wollen, es ist ja uraltes jüdisches Territorium.

Seit vielen Jahren hat der nationalreligiöse „Tourismus“ auf dem Tempelberg zugenommen, es gibt sogar Abgeordnete der Knesset, die dort hinaufgehen. Die israelische Regierung erlaubt dies immer öfter, auch wenn Netanyahu immer wieder mal ein Veto einlegt, um dort keine allzu große Unruhe zu erleben. Doch der Trend, daß immer häufiger extremistische Juden hinaufgehen, natürlich auch um zu provozieren, wird stärker. Seit Jahren. Umgekehrt muß man aber auch sagen, daß nach dem 6-Tage-Krieg der Waqqf wesentlich toleranter war als heute, daß es überhaupt kein Problem war, auf den Tempelberg zu gehen und sich dort alles anzuschauen als Nichtmuslim. Ich erinnere mich gut, daß ich mit meinen Eltern häufig dort oben war. Natürlich betrat man die Moschee ohne Schuhe, bewahrte die Heiligkeit des muslimischen Ortes, aber es gab auf beiden Seiten noch nicht diesen religiösen Fanatismus, der alles erschwerte und immer weiter erschwert.

Das Dritte Haus

Doch das ist hier eigentlich nicht mein Thema. Vielmehr mußte ich gestern wieder einmal darüber nachdenken, was diese Nationalreligiösen eigentlich wollen, sie, die immer vom Aufbau des „Bait ha-Schlischi“ träumen, des „dritten Hauses“, also des Dritten Tempels. Es gab eine Untergrundgruppe in den 80er Jahren, die sogar dafür die muslimischen Heiligtümer in die Luft jagen wollte, um so den großen „letzten Krieg“ zu provozieren, ehe der Messias kommt und das jüdische Volk erlöst – und natürlich den Tempel wieder aufbaut.

Es gibt in Jerusalem und anderswo Gruppen, die alles auf diesen speziellen Tag vorbereiten. Die die Kleider der Priester nähen, genauso, wie sie in der Thora beschrieben werden, die alles vorbereiten, um am Tag X den Tempeldienst genauso wieder aufnehmen zu können, wie er in der Thora beschrieben ist.

Die Abstrahierung des Judentums

Und dabei schaudert‘s mich. Was wollen diese Fanatiker? Daß alles, was das Judentum in 2000 Jahren erreicht hat, über den Haufen geworfen wird? Als der Tempel 70 n.Chr. zerstört war, haben Jochanan Ben Zakkai und andere Rabbinen in Javne den Grundstein für das heutige Judentum gelegt. Anstatt des Tempeldienstes, anstatt der Tieropfer, entwickelten sie Gebete, in denen über den Tempeldienst, über die Tieropfer erzählt wird. Sie übertrugen bestimmte Regeln aus dem Tempel auf den Ablauf der Gebete, mit anderen Worten: sie begannen das Judentum auf eine metaphysische Ebene zu heben. Und so ist es geblieben, bis heute. Das Judentum wurde im besten Sinne immer abstrakter, immer „entmaterialisierter“, es wurde eine „portable Heimat“ in Form der Schriftrollen, die man überall mitnehmen konnte. Das Lesen über den Tempel, war wie der Tempel selbst. Die Synagoge, das eigene Haus wurden zum Tempel, der Familientisch, an dem Wein und Brot gesegnet werden, zum Altar usw.

Wieder Tieropfer?

Was also wollen diese Fanatiker? Daß wir im Jahre 2019 oder 2020 oder 2021 oder noch später wieder Tieropfer einführen?  Oder besser gesagt: im Jahr 5779, 5780 oder 5781 nach jüdischem Kalender?

Soll so die Zukunft des Judentums ausschauen? Zurück zu einer Form kultischer Zeremonien, die nichts mehr zu tun haben mit unserer Entwicklung? Es gibt eine Geschichte, derzufolge Gott Moses in die Zukunft schauen läßt. Und Moses, der ja die Thora als einziger Mensch direkt von Gott erhalten hat, sieht den großen Rabbi Akiva, wie er viele Hunderte Jahre später die Thora lehrt. Und er versteht kein Wort! Denn die Thora ist so mannigfaltig, daß im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende das Verständnis und die Interpretation sich immer weiterentwickeln, so daß nicht einmal „Mosche Rabbeinu“, Moses, unser Lehrer, die Thora, wie sie später interpretiert wird, verstehen kann.

Grotesk, absurd, surreal

Doch diese nationalreligiösen Extremisten scheinen das nicht begriffen zu haben. Und so sehr es mich schaudert bei dieser Vorstellung, das Judentum könne wieder Tieropfer einführen und in Jerusalem würde das Blut, Tierblut, in Strömen fließen, so sehr lache ich auch laut auf angesichts dieser Vorstellung. Es ist so grotesk, so absurd, so surreal – das wäre fast schon wieder urkomisch so eine Situation als Realität zu leben. Allerdings nur fast. Denn was dem vorausgegangen wäre, wenn es denn je dazu käme, wäre der pure Horror. Und was danach käme auch.

 

 

8 Gedanken zu „Wieder Tieropfer?

  1. Dass, wenn auch nur vorübergehend, wieder Tierblut auf dem Tempelplatz fließen wird, mag für Sie und ganz viele Menschen ein Horror sein. Wer aber die Bibel kennt und diese Buch nicht nur für eine Sammlung von Mythen hält weiß, welche Prophetien darin enthalten sind, welche bereits eingetroffen sind und welche noch eintreffen werden. Diese Opferungen gehören dazu, 3 1/2 Jahre lang. Vielleicht ist der Start bereits der Friedensvertrag, den Trump gerade vorbereitet. Nach diesen 3 1/2 Jahren Frieden beginnt die Zeit, die Sie getrost als Horror bezeichnen dürften, denn das wird wirklich Horror für die Menschheit werden.

  2. Ich habe schon vieles Antiisraelisches von Ihnen gelesen, Herr Schneider, aber dieser Artikel läßt mich erschaudern! Wie haben Sie sich doch verändert – leider zu Ihrem Nachteil. G!tt schütze Sie trotzdem!

  3. Es ist aber nun einmal eine Tatsache, dass der Tempelberg auch für das Judentum heilig ist. Somit kann man letztlich nicht logisch erklären, weshalb es Juden verboten sein sollte, dort zu beten. Der fragwürdige „Status Quo“ wird sich nicht dauerhaft halten lassen. Religionsfreiheit gilt auch für konservative Juden, auch wenn Sie, lieber Herr Schneider, diese nicht mögen.

  4. Der Streit um den Tempelberg und die Erwartungen, die Juden, Christen und Muslime damit verbinden, machen deutlich, in welche Zwickmühlen religiöse Fanatismen die Menschen leiten. Die Juden erwarten dort die Ankunft des Messias, der ein neues, friedliches Reich errichten soll. Die Christen erwarten, wie auch die Muslime, eine Wiederkehr von Jesus, der dann über die Welt herrschen soll. Alle erwarten, dass der richtige Messias gegen den Anti-Christ oder Anti-Messias kämpft und gewinnt. Diese Vorstellungen offenbaren deutlich die Handschrift einer Zeit, in der die Weisheit der meisten Menschen nicht darüber hinaus reichte, den Mitgliedern einer anders denkenden Gruppe den Schädel einzuschlagen.
    Wäre es da nicht besser, wir würden uns besinnen und die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ zu unserer heiligen Schrift erheben: https://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeine_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte
    Denn sie wurde von vielen verschiedenen Menschen, die unterschiedlichen Nationen angehören gemeinsam, auf transparente Weise und demokratisch verabschiedet. Bei den ganzen alten Schriften ist doch gar nie klar, wer sie überhaupt mit welcher Absicht verfasst hat. Und sie passen einfach nicht mehr in unsere Zeit. Außerdem dienen religiöse Bekundungen nach wie vor dazu, Andersdenkende auszugrenzen und auszuschließen. Eine Quelle nicht enden wollender Konflikte, wie man eben am Tempelberg sieht.

  5. Was ist das für ein Schwachsinn? Sie beschuldigen Juden für etwas, was überhaupt nicht passiert und sagen kein Wort über die Tiere, die beim islamischen Opferfest tatsächlich geopfert werden. Vielleicht kümmern sie sich mal um die. Oder geht es gar nicht um as Leben der Tiere sondern nur, um schlecht über Juden zu schreiben?

  6. Hallo Herr Schneider!

    Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

    Hier geht es darum, dass Juden nicht zum Tempelberg dürfen.
    Ausgerechnet dorthin, wo die allerheiligste Stätte des Judentums gewesen war.
    Die Moschee wurde doch bewusst genau dort / da drauf gebaut. Hätten diesen Bau gerne und lieber woanders hinsetzen sollen…
    Wie Sie selber aufführten, früher durften alle dorthin, solange sie sich respektvoll verhielten. Warum nun seit einigen Jahren nicht? Vor allem wenn man bedenkt, dass die Moslems, wenn sie im Aussengelände beten, ihre Gesäße in die Richtung des besagten Gebäudes richten. Dazu gibt es unzählige live Aufnahmen im Internet zu sehen.

    Sorry, was die Regelungen bezüglich des Tempelberges betrifft, geht es schlichtweg um Apartheid, indem man auch diese Gegend judenrein halten möchte.

    Der zweite Teil Ihres Artikels ist also in diesem Kontext völlig deplatziert!

  7. Sehr guter Artikel, genau so ist es. Wobei ich denke, dass viele Religiöse sich völlig bewusst sind, wie wenig die Auferstehung des Mashiach lebbar wäre. Beim Lesen kam mir kurz der Gedanke , dass sich einige Antisemiten deines Artikel als „Munition“ verwenden könnten. Das ist zwar möglich, aber das würden die auch tun, wenn du über Donald Duck und seinenBezug zu Entenhausen schreiben würdest. Von daher kol hakavod. Alles Liebe Danny

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