Ich kann es nicht ändern – in meinem Herzen gibt es eine ziemlich große Ecke, die Frankreich gehört. Jajaja, ich weiß, es gibt Tausend Dinge, die man gegen Frankreich vorbringen kann, von Vichy bis Algerien, vom Kultursnobismus bis …, ich weiß, ich weiß. Aber wenn man das alles vorbringt, dann könnte man ja auch gleich bei Deutschland anfangen – und das ist ja nicht der Sinn der Sache, sondern zunächst einmal, ganz emotional: was liebt man an bestimmten Ländern und Kulturen.
Frankophil
Warum ich so frankophil bin? Weil ich Freiheit im wahrsten Sinne des Wortes in Frankreich gelernt habe. Oder genauer: in der Französischen Schule in München. Meine Eltern hatten mich dort eingeschrieben, weil sie wollten, daß ich – für den Fall eines neuen Holocaust – möglichst viele Sprachen kann, um nach einer (hoffentlich) gelungenen Flucht, weitermachen zu können.
1962 kam ich also in die französische Schule in der Kaulbachstraße in München. Bis dahin kannte ich nur zwei Welten: Die deutsche – und die war »Feindesland«, bedrohlich, fremd, unangenehm. Und die jüdische – und die war depressiv, dunkel, düster, traurig, aber »sicher«. Meins.
Die Französische Schule als Hort der Freiheit
Und dann kam Frankreich. In der Schule waren Kinder von Diplomaten. Die Schule war daher international. Es gab Christen und Juden und Muslime und wir kamen aus aller Herren Länder mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen. Aber das Französische einte uns. In der Schule wehte der Geist der Aufklärung, der Freiheit, des Liberalismus. Natürlich hätte ich das damals so nicht benennen können. Aber ich konnte es spüren. Wir waren, im politischen und emotionalen Sinn dort: frei.
Und so lernte ich Französisch, aber mehr noch: französische Geschichte und Kultur, Kinderlieder und Etikette.
Dieses Gefühl der Freiheit habe ich bis heute, wenn ich in Frankreich bin. Es ist subjektiv. Aber für mich stimmt und gilt es, auch wenn ich mir dessen sehr bewußt bin, daß Juden in Europa heute wohl nirgends mehr gefährdet sind als in Frankreich.
Frankreich und Deutschland müssen an einem Strang ziehen
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil gestern das vielleicht wichtigste deutsch-französische Treffen der letzten Jahre in Berlin stattgefunden hat. Macron und Merkel machen zumindest so, als ob sie an einem Strang ziehen würden. Und man kann für Europa nur beten und hoffen, daß sie es bald wirklich tun. Sie müssen es tun. Denn wenn es Deutschland und Frankreich nicht gelingt, endlich die Kräfte zu vereinen und zu sammeln, damit man im Tandem dem wachsenden Rechtspopulismus in der westlichen Welt etwas Entscheidendes entgegensetzen kann, dann ist es vorbei mit Europa. Mit dem Liberalismus. Mit der Freiheit.
Man braucht einander
Vielleicht ist es daher sogar gut, daß Merkel »schwächelt«. Jetzt können sich nach vielen Jahren Frankreich und Deutschland wieder auf Augenhöhe begegnen. Man braucht einander. Und ich denke, daß im Kern Macron und Merkel dasselbe wollen. Es wäre so wichtig, daß sie beide jetzt daran festhalten. Denn wer sollte, wer könnte es sonst richten, wenn nicht Deutschland und Frankreich? Die Briten sind raus, die Italiener verabschieden sich gerade, die Griechen haben andere Sorgen, die Spanier und Portugiesen ebenso, die Osteuropäer wollen einen anderen Weg, die Österreicher folgen ihnen allmählich … es wird eng, sehr eng. Und so wie einst durch die Französische Revolution und die Aufklärung Paris – und später kurzfristig auch Berlin – zum Mittelpunkt der Liberalisierung des Kontinents wurde, so müssen Paris und Berlin jetzt erst recht zu neuen Synonymen für Freiheit, Liberalismus, Demokratie werden.
Richard C. Schneider, Tel Aviv