Was halten die Siedler von Donald Trump? | Teil 2

Was halten die Siedler von Donald Trumps „Friedensplan“?
Ein Besuch im Jordantal, das bald zu Israel gehören soll

 

Teil 2
Argaman/ Jordantal


Das ganze Jahr über steht Avital Ibrahim Zbeidat zur Seite, der 42-jährige ist sein Vorarbeiter. Der Palästinenser stammt aus dem Nachbardorf Zbeidat, das keine fünfhundert Meter von Argaman entfernt liegt und zum palästinensischen Autonomiegebiet gehört.

Schaul und Ibrahim unterhalten sich auf Arabisch. »Ich habe die Sprache hier im Tal gelernt. Es ist doch wichtig, mit seinen Nachbarn reden zu können, oder nicht?«, sagt der Israeli. Seit zehn Jahren arbeiten sie zusammen, Ibrahim hat sogar eine offizielle Erlaubnis, sich direkt in der israelischen Siedlung aufzuhalten, nicht nur auf der Plantage. Einen solchen Passierschein erhalten nur Palästinenser, die in keiner Akte israelischer Sicherheitskräfte oder -behörden auftauchen.

 

Ich kümmere mich nur um die Datteln

In der Erntezeit arbeiten bis zu 20 Palästinenser auf Avitals Plantage. Alle kommen aus Zbeidat. Ibrahim, Vater von sieben Kindern, ist mit dem Job zufrieden, er garantiert ihm ein gutes Einkommen, die Familie ist versorgt. Mehr will er nicht. Zum Trump-Plan und zur geplanten Annexion will er sich nicht äußern: »Ich kümmere mich nur um Datteln. Von allem anderen verstehe ich nichts«, sagt er auf Hebräisch. Die Fragen sind ihm vor seinem israelischen Arbeitgeber sichtlich unangenehm. Über Politik redet man hier lieber nicht.

An der Straße, die hinaufführt zur Siedlung Argaman, befindet sich ein kleines Restaurant, in dem einige Palästinenser als Kellner arbeiten. Sie unterhalten sich mit einem ultraorthodoxen Juden, der hier gerade Rast macht. Man kennt sich, scherzt miteinander. Einer der Kellner, Fahdi, erzählt, dass er in der Nähe von Nablus lebe und jeden Tag hierher ins Restaurant Zipora zur Arbeit komme. Was hält Fahdi vom Jahrhundertplan? Der Annexion?

 

Hoffentlich bleibt alles wie bisher

Ebenso wie Schaul Avital hofft er, dass alles so bleibt wie bisher. Etwas abseits von den Israelis aber wird er deutlicher: »Was wollen wir alle hier? Ruhe, Frieden, ein gutes Einkommen, eine bessere Zukunft für unsere Kinder!« Fahdi hofft, im Fall einer Annexion zumindest den blauen israelischen Ausweis zu bekommen. Mit dem hätte er Zugang zum israelischen Sozialsystem, wäre abgesichert und versorgt. Der Palästinenser Fahdi hätte also nichts dagegen, unter israelischer Herrschaft zu bleiben.

Ob ein Zusammenleben nach einer Annexion denn funktionieren könne? »Bei uns schon«, nickt er, »hier gibt es auf beiden Seiten nur wenige Fanatiker. Wir können alle ganz gut miteinander.« Natürlich ist er für einen Palästinenserstaat, klar. Aber wichtiger sind ihm und vielen anderen hier ganz andere Dinge: Ruhe. Überleben. Seine Kinder in Frieden aufziehen.

 

Zwischen Coexistenz und Hass

Das Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis funktioniert in anderen Teilen des Westjordanlands bei Weitem nicht so gut. Überall dort, wo Extremismus und Hass blühen, dominiert Gewalt. Auf beiden Seiten. Und viele befürchten, sie könnte im Falle der angekündigten Annexionen wieder ausbrechen.

David Elhajani sieht das nicht. Er ist seit Jahren Vorsitzender des Siedlerrates im Jordantal und seit zwei Monaten Vorsitzender des einflussreichen Siedlerrates Jescha, der für die gesamten besetzten Gebiete spricht. »Es wird zu keiner dritten Intifada kommen«, zu keinem neuen Aufstand der Palästinenser, erklärt Elhajani trocken am Telefon. »Erstens geht es den Palästinensern zu gut, die meisten haben Arbeit und wollen das nicht riskieren. Und zweitens wird sich hier absolut nichts verändern. Nichts«, sagt er und meint die geplante Annexion im »deal of the century«.

 

Die Siedler – Zwischen Souveränität und Annexion

Das hebräische Wort sipuach, Annexion, lehnt Elhajani ab. »Annektieren kann ich nur etwas, was mir nicht gehört. Aber dieses Land gehört uns seit Jahrtausenden.« Darum sprächen Siedler wie er von ribonut, von Souveränität. Die Souveränität Israels solle hier ausgedehnt werden. Mehr nicht. »Aber soll ich Ihnen etwas sagen?«, fragt Elhajani: »Es wird nicht geschehen. Der ganze Trump-Plan ist ein einziger Bluff! Das ist nicht der ›deal of the century‹, es ist der ›bluff of the century‹!«.

Wie viele Siedler lehnt David Elhajani den Trump-Plan grundsätzlich ab. Nicht wegen der Annexionen. Sondern wegen der Zugeständnisse, die aus Sicht der Palästinenser minimal sind: »Wir akzeptieren keinen palästinensischen Terrorstaat. Auf keinen Fall.« Elhajani war zur Verkündung des Plans mit Premierminister Netanjahu nach Washington gereist. Er kennt den Regierungschef seit vielen Jahres, sieht ihn bei den wöchentlichen Treffen Netanjahus mit Wortführern des Siedlerrates in der Knesset.

 

Nicht ohne die USA

So glücklich wie unmittelbar vor der Veröffentlichung des Friedensplans habe er Bibi, wie Netanjahu von allen genannt wird, noch nie gesehen: »Mit glühendem Gesicht sagte er mir, dass dies ein historischer Moment für Israel sei. Dass endlich ein Traum wahr werde. Er glaubte daran.« Auch David Elhajani wollte zunächst daran glauben. Bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung des Plans würde Netanjahu die »Ausweitung der Souveränität« ins Kabinett bringen. Noch vor den Wahlen. Doch dann ging etwas schief. Die Amerikaner warnten Bibi plötzlich vor einem Alleingang.

Warum bremsten die Amerikaner Bibi aus? Elhajani hat dazu eine Theorie: Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der »Vater« des Deals, der zur Vorbereitung drei Jahre lang im Nahen Osten herumgeflogen war, müsse kapiert haben, dass sich die Israelis nur den einen Teil des Plans zu eigen machen wollten, der die Annexionen erlaubte. Den Palästinensern aber würden sie nichts geben wollen. Kushner habe irgendwann verstanden, dass viele israelische Abgeordnete und Minister nicht einmal einen kleinen Palästinenserstaat akzeptieren würden – der aber Teil des Plans ist. Kushner habe befürchtet, dass seine Freunde in den Palästen in Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten würden ihm Vorwürfe machen, und deshalb die Notbremse gezogen.

 

Ein Plan zum Scheitern

Der Plan sei einfach zum Scheitern verurteilt, glaubt Elhajani. »Ich sagte amerikanischen Kongressabgeordneten, sie würden den Palästinensern einen Mercedes mitsamt Schlüssel geben – aber der Motor fehlt. Dass sie Jerusalem nicht bekommen – dazu sagen die Palästinenser doch niemals Ja!« David Elhajani lacht. »Die Amerikaner haben noch nie verstanden, wie die Dinge hier laufen.«

Der »Plan des Jahrhunderts«, der Netanjahu im Wahlkampf gut aussehen lassen sollte, bringt ihm vorerst wenig. Laut den letzten Umfragen liegt er nur mit einem Mandat vor Benny Gantz (Redaktionsschluss). Viele Israelis halten den Plan für illusorisch, selbst wenn eine Mehrheit einer Annexion zumindest des Jordantales sofort zustimmen würde.

Schaul Avital beschäftigt sich mit all diesen Details nicht. Zwei seiner Kinder leben ebenfalls in Argaman. Gerade für sie wünscht er sich Stabilität und Ruhe. Wird er deswegen Bibi wählen? Nun, da seine Frau nicht mehr dabei ist, redet er offener. Bei der letzten Wahl im September gab er seine Stimme Benny Gantz. Das werde er nun nicht mehr tun. Gantz spreche mal wie ein Politiker der Mitte, mal wie ein rechter. »Ich weiß nicht mehr, wofür er steht.« Aber auch Netanjahu werde er nicht wählen, sagt Avital. Vorsichtig deutet er an, dass er sich noch weiter nach rechts orientieren werde, da wüsste er, wofür sie stehen. Ausgerechnet er, der sich nichts sehnlicher wünscht als ein friedliches Zusammenleben zwischen den Palästinensern und Israelis hier in seiner Umgebung, wählt womöglich rechts außen?

 

Nur ein großer Bluff

»Erinnern Sie sich nach den Wahlen daran, dass alles nur ein großer Bluff ist«, sagt Siedlerführer David Elhajani zum Abschied. »Jetzt wollen die Amerikaner den Grenzverlauf auf Karten festlegen. Mit unserer Regierung, aber ohne uns Siedler, die wir doch hier leben.«

Elhayani wird nun grundsätzlich. Man habe von Israel immer verlangt, Risiken für den Frieden einzugehen. Und Israel habe immer nur noch mehr Bomben und Raketen dafür bekommen. »Und was will die Welt dann machen? Friedhöfe für uns Juden schaffen?« Nein, aus dem Plan werde nichts, die Amerikaner werden die Souveränität über die Siedlungen im Westjordanland nicht zulassen. Und die Siedler und Israel werden einen Palästinenserstaat nicht zulassen: »Denn nach dem Holocaust können wir kein weiteres Risiko mehr eingehen. Nie mehr!« Wie die vergangenen 50 Jahre gezeigt haben, geschieht in der israelischen Politik meistens das, was die Siedler wollen.

 

Lesen Sie Teil 1 hier

Der gesamte Artikel ist erstmalig in der ZEIT vom 26. Februar 2020 unter dem Titel „Der Bluff des Jahrhunderts“ erschieben.

© Richard C. Schneider, Tel Aviv

Ein Gedanke zu „Was halten die Siedler von Donald Trump? | Teil 2

  1. Das ist doch mal wider ein guter, differenzierter Artikel. Und man erfährt auch mal etwas darüber, wie die Israelis selbst denken und was sie bewegt. Ein Land ist ja schließlich mehr als seine Politik alleine. Ich persönlich würde mir mehr solcher Themen wünschen. Aber ein Blog ist natürlich kein Wunschprogramm und es ist sicher auch leichter solche Reportagen mit einem Team im Hintergrund zu machen… 😉

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