Was halten die Siedler von Donald Trumps „Friedensplan“?
Ein Besuch im Jordantal, das bald zu Israel gehören soll
Argaman/ Jordantal
Von seiner Terrasse aus hat Schaul Avital einen atemberaubenden Blick über das Tal des Jordan. Hinter dem Fluss, am Horizont, ragen die Bergketten Jordaniens auf. Avitals Haus steht auf einem Hügel am Rande der Siedlung Argaman, die 1968 gegründet wurde. Etwa 50 Familien leben heute hier. Avital steht in der Küche und kocht Kaffee. Der schlanke Mann, dem man seine 70 Jahre nicht ansieht, lebt seit 1974 in Argaman, er gehörte damals zu den Pionieren, die in das Jordantal zogen. »Ideologie«, sagt er, »war nicht dabei«, als er aus seiner Heimatstadt Bet Schean im Kernland Israels hierherkam. »Die damalige Regierung der linken Arbeitspartei gab uns allerlei finanzielle Anreize, nach Argaman zu ziehen. Und ich habe mich sofort in diese Landschaft verliebt. Du siehst ja selbst, wie idyllisch es hier ist.«
Argaman liegt östlich der palästinensischen Stadt Nablus, etwa eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt. Wenn es nach dem von US-Präsident Donald Trump entwickelten »deal of the century« geht, soll hier bald die Ostgrenze des jüdischen Staates verlaufen. Der Plan, der vor wenigen Wochen im Beisein von Premier Benjamin Netanjahu in Washington vorgestellt wurde, sieht vor, dass Israel weite Teil des Westjordanlands, das es seit 1967 besetzt hält, offiziell annektieren darf, insbesondere das Jordantal. Den Palästinensern verspricht der »Friedensplan« nur einen winzigen Rumpfstaat, mitten im – dann – israelischen Staatsgebiet.
Der Siedler Schaul Avital (links) unterhält sich mit einem Nachbarn, einem palästinensischen Schäfer. © Jonas Opperskalski
Das Land und die Macht in Israel
Bei dem Plan geht es aber nicht nur um Land. Es geht auch um die Macht in Israel. Wenn die Israelis am kommenden Montag wählen, zum dritten Mal innerhalb eines Jahres, hofft Netanjahu endlich auf einen deutlichen Sieg. Der Premier, gegen den eine Korruptionsanklage läuft, und sein Herausforderer, der Ex-General Benny Gantz, versuchen seit Monaten jeweils vergeblich, eine Regierung zu bilden. Die beiden vorangegangenen Wahlen haben ein Patt geschaffen, Israel steckt in der Krise. Nun soll der nächste Wahlgang endlich den Durchbruch bringen für Netanjahu. Und Donald Trumps »Deal« soll ihm die Stimmen aller rechten Israelis sichern, auch jener 300000, die das letzte Mal im September nicht zur Wahl gegangen sind.
Was denken die Siedler?
Wie aber denken die Siedler selbst über den Annexions-Plan von Trump und Netanyahu?
Nach Wochen voller Regen und Sturm ist es endlich warm geworden, das Jordantal erblüht in kräftigem Grün, die Luft ist klar und frisch. Man hört nichts außer Vogelgezwitscher. Völlige Ruhe. »Ist das nicht wunderbar?«, freut sich Schaul. »Ich könnte nicht in der Großstadt leben.« Die Großstadt – das ist Tel Aviv. Das liberale Zentrum Israels ist nur eine Stunde entfernt, aber mental ganz weit weg von den besetzten Gebieten. Dabei sind es auch von Tel Aviv aus nur rund 70 Kilometer bis zur jordanischen Grenze.
Kontrolle über das Jordantal
Alle Regierungen Israels haben daher stets darauf bestanden, im Falle eines Friedens mit den Palästinensern die Kontrolle über das Jordantal zu behalten. Aus palästinensischer Sicht sind diese Gebiete Teil eines zukünftigen unabhängigen Staates, aus israelischer Sicht sind sie eine offene Flanke. Die Israelis befürchten, dass unkontrolliert Waffen, Raketen und Terroristen eingeschmuggelt werden könnten. Darin sind sich rechte und linke Israelis einig. Selbst als Barack Obamas Außenminister John Kerry 2014 noch einmal versuchte, einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern auszuhandeln, erklärte er den Palästinensern, dass die israelische Armee die Ostgrenze eines Palästinenserstaates mitkontrollieren würde. Die Palästinenser lehnten das damals wie heute brüsk ab.
Nicht alle Siedler sind religiöse Fanatiker
In der Gegend von Argaman sind die meisten Siedler keine religiösen Fanatiker, auch Schaul Avital nicht. Er lebt nicht hier, weil er glaubt, dass Gott den Juden dieses Land gegeben hat. Er findet es für die Sicherheit Israels wichtig, dass der Staat am Jordantal festhält. »Ich weiß aber noch nicht einmal, was Annexion genau bedeuten würde«, sagt Schaul. »Wahrscheinlich nur eine Veränderung im Verwaltungssystem. Aber ansonsten? Hier läuft doch alles gut, es ist ruhig. Ich hoffe, dass der Plan von Trump das nicht zerstört!«
Seine Frau Jael, deren Familie ebenso wie die von Schaul Avital ursprünglich aus Marokko stammt, ist entschiedener. Sie sei früher moderater gewesen, sagt sie. »Aber nach dem Abzug aus Gaza war das vorbei.« Nachdem sich die israelischen Truppen 2005 aus dem besetzten Gazastreifen zurückgezogen hatten, wurde Israel von dort immer wieder mit Raketen beschossen, bis heute. »Wir müssen jeden Zentimeter verteidigen«, sagt Jael. »Die Araber um uns herum wollen uns ausrotten. Wir müssen das alles hier behalten, wir können ja nirgends anders hingehen.« Darum vertraue sie nur Netanjahu und werde ihn wieder wählen.
Wen soll man wählen?
Und ihr Mann? Wen wird er wählen? Er weicht der Frage aus. »Gehen wir doch zu den Datteln«, sagt er.
Schaul Avital besitzt eine Palmenplantage. Die Datteln des Jordantals gehören zu den besten der Welt. Avital produziert ausschließlich für den Export. Etwa 40 Quadratkilometer Land gehören ihm. In dieser Jahreszeit ist er damit beschäftigt, die Dornen der Dattelpalmen zu entfernen, um später leichter an die Früchte zu gelangen.
Besetzt oder nicht besetzt?
Vielleicht nirgendwo sonst auf der Welt ist die Frage nach dem Besitz von Land konfliktreicher als in dieser Gegend. Um die Siedlung Argaman zu bauen, haben die Israelis nach dem Sechstagekrieg 1967 Land von drei palästinensischen Dörfern konfisziert. Nach dem Völkerrecht ist das in »besetzten Gebieten« nicht erlaubt. Doch die Siedler halten den Begriff »besetzt« für falsch. Der Staat Israel argumentiert, das Land sei vor 1967 gleichsam herrenlos gewesen. Jordanien hatte das sogenannte Westjordanland in den späten Vierzigerjahren ebenfalls nur annektiert, doch außer Großbritannien und Pakistan erkannte kein Staat diese Annexion an. Davor gehörte das Land zum Osmanischen Reich, das aber war nach dem Ersten Weltkrieg untergegangen. Einen »rechtmäßigen« Besitzer habe es also nicht gegeben, das Land sei demzufolge nicht »besetzt«. Auch säkulare Siedler wie Schaul Avital sehen deshalb kein Unrecht darin, das Land als ihr Eigentum zu betrachten.
Ende Teil 1
Der gesamte Artikel ist erstmalig in der ZEIT vom 26. Februar 2020 unter dem Titel „Der Bluff des Jahrhunderts“ erschieben.
© Richard C. Schneider, Tel Aviv
Ein Gedanke zu „Was halten die Siedler von Donald Trump? | Teil 1“
Danke! Wen sollte man wählen? Anyone but this guy
https://www.youtube.com/watch?v=-Ue5F57dZMU
Wahrscheinlich würde ich diesmal für die gemeinsame arabische Liste stimmen, wie mein in Israel lebende Vetter.