Shtisel

Kennen Sie „Shtisel“? Die israelische TV-Serie, die in ultraorthodoxen Kreisen spielt und in Deutschland auf Netflix zu sehen ist?

Ich sehe sie derzeit mit großem Vergnügen und muß an all die schrecklichen deutschen Filme denken, in denen „orthodoxe Juden“ vorkommen. Es sind gräßliche Karikaturen, Klischees mit dümmlichen Gejiddel und all den Bewegungen und Verhaltensweisen, die man „Juden“ so zuschreibt in Deutschland. Ich kenne nicht einen Juden, dem sich bei diesen Filmen n i c h t der Magen umdreht.

Deutsche Klischees über orthodoxes Judentum

Nun kann man zur Verteidigung solcher deutscher Produktionen, egal ob es sich um einen Krimi, eine Komödie oder ein Drama handelt, sagen, daß deutsche Filmemacher ja gar nicht genau wissen können, wie „orthodoxe Juden“ sind, wie sie sich verhalten oder gar richtig Jiddisch reden. Stimmt. Das ist in Israel natürlich ganz anders, selbst wenn es auch da Einschränkungen gibt, denn die meisten Schauspieler in „Shtisel“ sind keine Orthodoxen und haben sich auch in die Welt der Frommen einarbeiten und einleben müssen. Das fällt ihnen natürlich leichter als deutschen Schauspielern oder Regisseuren, klar.

Der einzige Akzent bei Juden in Deutschland ist ein russischer

Bleibt die Frage, warum man in Deutschland dann eigentlich Filme macht, die in „orthodoxen Kreisen“ spielen müssen. Es reicht doch – wenn man das jüdische Milieu haben will – Juden als ganz normale Menschen zu zeigen. Die meisten heute in Deutschland lebenden Juden sind nicht orthodox. Und wenn sie einen Akzent im Deutschen haben, dann ist das ein russischer, weil viele Gemeindemitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion stammen. In der Zeit von Glasnost und Perestroika gingen die meisten sowjetischen Juden nach Israel (über eine Million), aber es kamen auch Zehntausende nach Deutschland und die Bundesrepublik unter Helmut Kohl nahm sie bereitwillig auf – auch als Zeichen, daß Juden nach der Shoah in Deutschland willkommen sind.

Die neue Offenheit?

Das letzte Mal als ich in einer deutschen Produktion einen „orthodoxen Juden“ mit dem lächerlichen Pseudo-Jiddisch sah und hörte, schaltete ich wirklich nach 15 Minuten ab. In den Medien pries man die neue „Offenheit“, daß nun, über 70 Jahre nach der Shoah auch „Juden“ wieder in Filmen als Figuren auftreten können.

Anyway – wie ich gerade erst hier im Blog geschrieben habe, haben wir Kinder der Überlebenden in München noch das „Stetl“ ein wenig miterlebt. Wir wuchsen mit Jiddisch auf, wir hatten Orthodoxe um uns herum und unsere Eltern stammten aus diesem Milieu, selbst wenn sie nach dem Krieg nicht mehr so orthodox geblieben sind (einige aber schon).

Keine Karikaturen

Und so sehe ich „Shtisel“ mit viel Freude, selbst wenn ich die kleinen Fehler in der Darstellung der Ultraorthodoxen auch da bemerke. Aber: es sind k l e i n e Fehler. Und vor allem: die Figuren sind keine Karikaturen orthodoxer Juden, sondern Menschen mit Gefühlen, Ambivalenzen, Problemen, eben halt im Rahmen der frommen jüdischen Welt.

Es ist eine Wohltat „Shtisel“ zu sehen. Und wer als Nichtjude eine kleine Idee davon bekommen möchte, wie orthodoxes Leben in etwa ausschaut, kann hier einen kleinen Geschmack davon bekommen. Natürlich gibt es auch israelische Spielfilme, die die Enge der Orthodoxie anprangern mit all seinen Ungerechtigkeiten, seiner Starrheit. „Get“ ist so ein Film, mit der leider viel zu früh gestorbenen Ronit Elkabetz in der Hauptrolle, oder auch Amos Gitai’s Film „Kaddosh“, der zu einer Trilogie gehört, die im ultraorthodoxen Viertel von Jerusalem, Mea Shearim, spielt.

Rezeption einer nichtjüdischen Umwelt

Wer aber meint, in deutschen Spielfilmen, die sich der jüdischen Orthodoxie bedienen, um ein „exotisches Milieu“ zu haben, irgendetwas über fromme Juden zu erfahren, der täuscht sich. Er erlebt eben nur Klischees. Klischees, die mehr über die Rezeption einer nichtjüdischen Umwelt erzählt, als wirklich irgendetwas Substantielles über das orthodoxe Judentum.

5 Gedanken zu „Shtisel

  1. eine absolut faszinierende Serie. Langsam, aber sehr tief in die „Sache“ eintauchend. Sehr lebensnah. Und doch: man sollte sich in der Materie auskennen

  2. Es spannt sich ein weiter Bogen über „Anatevka“ bis zu Deborah Feldmans „Unorthodox“. Für meine Belange bin ich mit der Darstellung orthodoxen Lebens bedient. Jedoch kenne ich „Shtisel “ nicht. Aber bei der Lektüre (Englisch)von Feldmans Buch erging es mir so wie Ihnen bei deutschen Produktionen in denen orthodoxe Menschen dargestellt werden: Mir drehte es den Magen um.

  3. Ich liebe diese Serie und habe alle Folgen in drei Tagen gesehen. Ich konnte gar nicht aufhören. Bin glücklich, dass ich die erste Staffel auf DVD mit englischen Untertiteln kaufen konnte. Ich weiss nicht, wie gross das Interesse in Deutschland sein wird und vielleicht ist sie nicht lange auf Netflix. Die Serie hätte ja auch bei ARD oder einem anderen Sender laufen können…. . Aber das wird wohl nicht passieren…

  4. Ein wesentliches Problem ist, dass die meisten Deutschen gar nicht wissen, was *orthodoxe* und *ultra-orthodoxe* Juden überhaupt sind. Da wimmelt es nur so von Klischees und Stereotypen. Die Mehrheit der orthodoxen Juden trägt z. B. weder einen Hut (das tun lediglich die „Ultra-Orthodoxen“) noch Schläfenlocken noch spricht sie Jiddisch (nur bei aschkenasischen „Ultra-Orthodoxen“ üblich).

  5. Und obendrein ist bei der Mehrheit der (deutschen) Nichtjuden jeder Jude mit Bart und Schläfenlocken ein „Chassid“ – daß es ultra-orthodoxe, nicht-chassidische Juden gibt, weiß man nicht. Ja, das Klischee vom im Shtetl singenden und tanzenden Chassid ist ja auch so schön, fast zum Wohlfühlen- Mitklatschen…

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