Großes Aufsehen haben die antisemitischen Angriffe gegenüber Alain Finkielkraut erregt. Jemand filmte den Vorgang und der ging dann viral, ich habe ihn ja auch hier gepostet.
Auf diesen Beitrag von mir, schickte mir ein ehemaliger Klassenkamerad aus dem Gymnasium einen Brief. Er lebt in München und beschrieb eine Situation, die ihm vor einiger Zeit widerfahren ist. Mit seiner Erlaubnis zitiere ich aus diesem Brief:
„23. September 2018, ein warmer Spätsommer-Sonntag, der Geburtstag meines verstorbenen Vaters.
Immer an diesem Datum trage ich den Anhänger meines Vaters (seinen Davidstern), für mich als Verbindung zu ihm.
An diesem Sonntag fuhr ich mit einer kleinen Gruppe (Grundschüler und ein Sonderschüler) sowie einer begleitenden Mutter in der Straßenbahn Richtung Nymphenburg, um einen Besuch im Museum „Mensch und Natur“ mit ihnen zu gestalten.
Den Sonderschüler (Down Syndrom) hatte ich an meiner Seite und bemühte mich, auf alle seine neugierigen Fragen einzugehen, sein ungestümes, gefühlvolles Verhalten sanft zu lenken.
Was mir nicht bewusst, bzw. egal war, dass mein Anhänger durch die leichte sommerliche Bekleidung [war].
Am Hirschgarten bestiegen neue Fahrgäste die Straßenbahn und irgendwie reagierten meine Sensoren auf zwei Typen, junge Männer, Mitte Zwanzig, sehr kurz geschoren, graue Lodenjanker.
Sie standen im Mittelgang und Ich spürte ihre Blicke auf meiner Gruppe, insbesonders auf meinen kleinen Nachbarn, um den ich mich weiter bemühte, aber irgendwie war ein Ohr auf die beiden Personen gerichtet.
Dann vernahm ich folgende, geflüsterten Worte:
„Eigentlich schaut er arisch aus, aber wahrscheinlich hat man doch vergessen, seine Eltern zu entsorgen und der Kleine neben ihm ist auch sowas Überflüssiges….“
Mein einstiger Klassenkamerad reagierte beim Aussteigen auf die beiden und antwortete ihnen mit aller Entschiedenheit, Ablehnung und Wut.
Was ich an dieser Szene interessant finde (aber mich schon lange nicht mehr überrascht) ist nicht der unverhohlene Hass, sondern die Tatsache, daß dieser in der Öffentlichkeit formuliert wird, daß man sich das wieder traut. Und daß offensichtlich außer dem Betroffenen niemand reagierte. Das ist das eigentliche Problem. Nun gut, nicht jeder ist ein Held und man kann ja auch manchmal berechtigte Angst haben, „eins in die Fresse“ zu bekommen. Aber ganz ehrlich: Wieviele reagieren in ihrem engeren Umfeld wirklich, wenn antisemitische oder andere rassistische Äußerungen gemacht werden? Ja, viele sind entrüstet, wenn man ganz theoretisch über das Problem spricht. Aber letztlich geschieht viel zu wenig. Erinnern Sie sich noch an den Aufruf in Berlin zum „Kippa tragen“, einer Solidaritäts-Demo mit der jüdischen Bevölkerung? Es kamen in der Millionenmetropole gerade mal: 2000 Menschen. Von denen wiederum viele selbst Juden waren.
2 Gedanken zu „Nicht nur in Paris…“
So ist es leider! Ich erinnere mich sehr gut an „Berlin trägt Kippa!“. Intensiv hatte ich um Solidarität und Teilnahme auch im sehr großen nichtjüdischen Freundes- und Bekanntenkreis geworben, persönlich angesprochen oder über soziale Medien. Und welche Ernüchterung bei der eigentlichen Veranstaltung. Die üblichen Teilnehmer aus der Politik, die sich auch sonst für jüdische und auch israelische Belange einbringen und so viele aus der Berliner Community. Aber wo waren die Anderen? Wo war die „breite Gesellschaft“, die noch in den 1990er Jahren Menschen- und Lichterketten initiierte, wo war die Solidarität, die deutsche Juden so dringend benötigen? Lächerliche 2000 Menschen? Juden, die für sich selbst solidarisch auf die Straßen gehen. Es war enttäuschend. Immerhin, ein gemeinsames Foto mit Yair Lapid ist mir geblieben. Immerhin.
@ Kay Knauke
Diese Diskussion unter Juden, französischen Juden, ob sie nun für sich selbst solidarisch auf die Strasse gehen sollen – gemeinsam mit jenen, die sich bei so einem Marsch immer auch öffentlich wirksam gegen den Antisemitismus stellen, es aber nicht wirklich meinen – oder ob man lieber Distanz wahrt und sich von der Politik nicht missbrauchen lässt, hat nun auch in Frankreich stattgefunden. Die Meinungen gingen auseinander, wobei die verbreitete Haltung von „Würdenträgern“, Rabbinern und offiziellen Vertretern die war, mitzumarschieren – jedoch nicht in erster Linie als Jude, sondern als französischer Bürger. Ein semantischer Unterschied, der natürlich nicht wirklich gesehen wird, die „Solidarität“ mit den eigenen Interessen jedoch trotz widerstreitender Überlegungen ermöglicht hat.