Kritik und Wut

Es ist schon interessant zu sehen, wie sich der Diskurs um Israel in den letzten Jahren radikal verändert hat. Ich meine jetzt nicht den wachsenden Antizionismus/Antisemitismus, ich meine nicht die ewig selben Vorurteile vieler Europäer, die im Grunde keine Ahnung von dem Konflikt vor Ort haben, aber dafür umso mehr »Bescheid« wissen – in meinem neuen Buch: »Alltag im Ausnahmezustand. Mein Blick auf Israel« (Erschienen im März bei DVA) beschreibe ich diese Problematik im letzten Kapitel ausführlich.

 

Der Umgang mit Kritik

Ich meine all die, die auf der Seite Israels stehen und mit Kritik oder einem kritischen Diskurs nicht umgehen können. Die Diskussion um Israel hat in den letzten Jahren an Sachlichkeit auf allen Seiten abgenommen. Eben diejenigen, die am stärksten darauf pochen, daß Israel »die einzige Demokratie im Nahen Osten« ist, ertragen es dann gar nicht, wenn man kritisch mit der Politik des Landes umgeht, wenn man Benjamin Netanyahu kritisch gegenübersteht. Sie scheinen vergessen zu haben, daß in einer Demokratie Kritik ein fundamentales Element des demokratischen Lebens ist, wenn Kritik nicht mehr möglich ist, oder niedergemacht oder niedergeschrien wird, dann ist es bald aus mit der schönen Demokratie.

Lustig wird es auch, wenn Menschen mich für meine Kritik an Netanyahu angreifen, die nicht in Israel leben — im Gegensatz zu mir — und nicht mit den unmittelbaren Folgen seiner Politik in ihrem Alltag konfrontiert sind.

Und noch schöner wird es, wenn man als Person angegriffen wird. Wenn es nicht darum geht, die Argumente gegen vielleicht mit besseren Argumenten dafür auszuhebeln oder zu übertrumpfen. Wenn das geschähe, wäre es doch wunderbar. Man kann sogar, wie man auf Englisch sagt: »Agree to disagree.«

 

Sei vorsichtig, was du schreibst

Ebenfalls ein interessantes Argument, das immer wieder aufpoppt: Sei vorsichtig, mit dem, was du schreibst, das könnte Munition für die falsche Seite sein. Ich kenne dieses Argument seitdem ich als Journalist arbeite, also über 30 Jahre. Das erste Mal hörte ich diesen Satz als ich einen Artikel über Jitzhak Shamir und seine Reaktion auf die geplante Wiedervereinigung Deutschlands schrieb. Der für mich zuständige Redakteur einer sehr angesehenen und großartigen Zeitung las den Artikel und reagierte dann genau so: Ich solle mir das überlegen, das könnte den Antisemitismus befördern. Ich antwortete ihm so, wie ich das auch heute noch tue:

»Die Antisemiten sind Antisemiten, egal, was ich schreibe. Sie benötigen meine Artikel nicht. Und wenn sie sie in ihrem Sinn verwenden, dann ist es auch egal, man hat darauf keinen Einfluß und letztendlich darf es einen Journalisten nicht beeinflußen, das zu schreiben, was er für richtig und wichtig hält, weil irgendjemand das dann mißbrauchen könnte. Das kann und wird immer geschehen.«

Als der Redakteur meinte, es gäbe aber doch noch Menschen, die sich noch nicht im Klaren seien, ob sie nun Antisemiten sind (werden wollen) oder nicht, sagte ich erneut: »Die, ›die noch nicht entschieden sind‹ – sind bereits entschieden. Punkt.«

Ich schreibe, was ich zu sagen habe. Wem das nicht gefällt, der hat drei Möglichkeiten:

  1.  Meine Texte ignorieren.
  2.  Mit Gegenargumenten in die Königsdiziplin der Demokratie eintreten: Den Diskurs und Meinungsaustausch, ja, auch -streit.
  3. Darüber nachdenken, ob das, was ich schreibe, nicht vielleicht sogar richtig sein kann …

 

Shitstorm und Wut

In Zeiten von Social Media ist der Shitstorm oder »Wut« noch verbreiteter als früher. Aber jeder, der sich ernsthaft als Demokrat versteht, sollte sich fragen, ob Beschimpfungen, persönliche Verunglimpfungen etc. wirklich sinnvoll sind. Sie fallen auf den Verumglipfenden zurück, nicht auf den, der attackiert wurde. Und: Es wurde eine wichtige Chance für einen Mehrwert vertan: Das Lernen voneinander. Denn natürlich ist »der Journalist« nicht allwissend und hat immer recht. Der Lernprozess ist immer beidseitig. Im Idealfall. Dazu muß man aber erst einmal das Zuhören lernen. Das vorurteilsfreie Zuhören. Schwer, nicht wahr?

 

Richard C. Schneider, Tel Aviv

3 Gedanken zu „Kritik und Wut

  1. Ich bin eine der Personen, die Ihre Kritik an Netanyahu meistens ungerecht finden und meinen, dass Sie die positiven Ergebnisse seiner Politik nicht genügend erwähnen, um ein ausgewogenes Urteil zu ermöglichen. Auch finde ich, dass Sie Ihre Position als Journalist unterschätzen, indem Sie sie der einer xbeliebigen Privatperson gleichsetzen, die im Rahmen der Meinungsfreiheit das Recht hat ihre persönliche subjektive Meinung kundzutun. Es geht nicht um Diskussionen auf Augenhöhe. Das, was Sie schreiben, ist für die meisten Ihrer Leser meinungsbildend, und da sehe ich eine wenn auch unbeabsichtigte Fahrlässigkeit.

    1. Nun, dann lassen Sie uns doch über die positiven Ergebnisse seiner Politik reden – ich lese das gern von Ihnen, bin gespannt, im Ernst.
      Übrigens, in meinem Buch „Alltag im Ausnahmezustand. Mein Blick auf Israel“ spreche ich auch von den positiven Seiten. Daß zum Beispiel die Wirtschaftskraft Israel in den Amtsjahren Netanyahus gestiegen ist. Ich möchte Ihnen übrigens ein wichtiges Buch – neben meinem, versteht sich 😉 – empfehlen: „How Democracies Die“ von den beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt. Erscheint Ende des Monats auch auf Deutsch, wie mein Buch ebenfalls bei DVA. Was die beiden Professoren da beschreiben, ist so auch im Israel von Benjamin Netanyahu zu finden. Allein das ist genug Grund zur Sorge. Und da ich in Israel lebe, bin ich von all dem, was hier geschieht oder auch nicht geschieht, unmittelbar betroffen.
      Last but not least: Natürlich schreibe ich, um meinungsbildend zu sein – das ist doch die Intention eines jeden Journalisten oder Autors.

  2. Mit ISRAEL-KRITIK habe ich meine Probleme. Aus einfachem Grund: es gibt sie nur für Israel, diesen Begriff. Schon mal von einer Deutschland-Kritik, Italien-Kritik, Iraq-Kritik gehört? Der Begriff: Israel-Kritik hat somit ein „Geschmäckle“ . Wir erleben derzeit einen wahnsinnigen Shit Storm, was die Ereignisse in Gaza anlangt. Es werden zuerst fette Headlines gebracht, dann erst nach Tagen sickern eventuell die Facts ans Tageslicht .

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