Judentum – Was ist das?

Auf meine #MeTwo Beiträge erhielt ich eine Mail von einer Dame, die mir sehr ausführlich über ihre Auseinandersetzung mit Israel und dem Judentum und dem Holocaust berichtete. Vor allem erzählte sie, wie der Unterricht in der Schule war, wie sie da alles über den Holocaust erfahren habe und über deutsche Schuld.

Was sie nicht erfahren hatte: wer oder was Juden eigentlich sind, was Judentum eigentlich ist. In Deutschland weiß so gut wie niemand irgendetwas über das Judentum, über jüdische Geschichte und Glauben, und natürlich auch nicht wirklich etwas über Israel.

Der Grund scheint offensichtlich: Juden werden immer nur im Zusammenhang mit der Shoah gesehen. Oder wenn es um Verschwörungstheorien geht. Sie sind entweder die »Über-Bolschewiken« oder die »Über-Kapitalisten« oder manchmal sogar beides gleichzeitig, obwohl sich das eigentlich ausschließt.

Aber was ein Jude ist, wie jüdisches Leben ausschaut: Fehlanzeige.

Das ist sehr einfach zu erklären: Es hat etwas mit Gleichgültigkeit, Desinteresse, Ablehnung oder allgemeiner Ignoranz zu tun. Oder mit Angst und Scheu.

Doch es gibt immer wieder Menschen, die mich fragen, wo sie etwas über’s Judentum erfahren können. Und – ganz ehrlich – ich bin über diese Frage immer wieder überrascht. Denn es ist so einfach: Man geht ins Internet, zum Beispiel. Oder man kauft sich Bücher zum Thema – es gibt Hunderte davon. Wo ist das Problem?

Man kann sich – wenn man irgendwo lebt, wo es eine jüdische Gemeinde gibt – darüber informieren, ob die Jüdische Gemeinde ein Kulturprogramm anbietet oder Führungen durch die Synagoge u.ä. – die meisten Gemeinden machen das, um eben die Kluft zwischen Juden und Nichtjuden zu überwinden.

Die Frage also, wo man sich über’s Judentum schlau machen kann, ist keine wirkliche Frage. Die eigentliche Frage muß heißen:»Warum habe ich eine Scheu mich dem Thema zu nähern?« Ich kann Hemmungen, in Deutschland zumal, schon verstehen. Aber man kann ja eben erst mal mit Büchern, Filmen sich vertraut machen.

Und wenn man dann jüdischen Menschen begegnet, dann kann es natürlich auch sein, daß sie auf Leute treffen, die Ihnen unsympathisch sind, oder denen Sie unsympathisch sind. So what? So ist es doch immer im Leben. Dann sucht man sich halt die aus, die man mag und umgekehrt.

Wenn mir jemand schreibt:»Ich habe da einen Rabbiner kennengelernt, der hat mich sehr unfreundlich behandelt« und diese Person dann keine Juden mehr kennenlernen will, dann ist das töricht. Ok, der Rabbiner war vielleicht ein Depp, kann ja sein. Dann sucht man sich jemanden anderen, mit dem man sehr wohl kann. Große Überraschung: auch Juden sind nur Menschen. Angenehm, unangenehm, anständig, mies, freundlich, unfreundlich, aggressiv, liebevoll – was Sie wollen. So what?

Trauen Sie sich, denn eines kann ich Ihnen versichern: Kein Jude wird Sie beißen. Also was haben Sie zu verlieren?

 

Richard C. Schneider, Tel Aviv

7 Gedanken zu „Judentum – Was ist das?

  1. Als ich in die Oberstufe des Gymnasiums ging und mit meinem Klassenkameraden Simon Cohen, der evangelischer Pfarrer werden wollte, über religiöse Fragen diskutierte empfahl er mit damals die Bücher von Shalom ben Chorin: „Bruder Jesus“, „Mutter Mirjam“, „Paulus“, die ich alle sehr aufschlussreich fand. Einen guten Überblick gibt auch „Der Glaube der Juden“ von Peter Landesmann.

    Als ich vor einer Weile tiefer nach den Ursprüngen des Monotheismus gegraben habe stieß ich auf eine exzellente Vorlesung der Universität Yale in der Serie Open Yale Courses: Religious Studies: Introduction to the Old Testament (Hebrew Bible). Die Dozentin Christine Hayes beschreibt darin eindrucksvoll, wie sich der Monotheismus im Umfeld der umgebenden Hochkulturen Mesopotamiens, Ägyptens, Babyloniens, Assyriens und der Hethiter entwickelt hat.

    https://oyc.yale.edu/religious-studies/rlst-145

    Wer sich für die Merkwürdigkeiten in den christlichen Texten des Neuen Testaments interessiert wird bei den Open Yale Courses auch fündig mit dem Kurs Introduction to the New Testament History and Literature:

    https://oyc.yale.edu/religious-studies/rlst-152

  2. Doch, es gibt sie, auch in D., Menschen, die sich für das Judentum interessieren, die sich über jüdisches Leben in D staunend freuen (und deren Herz blutet über den Hitler-generierten Aderlass). Die mit Freuden Ihr Buch ‚Wir sind da‘ Second Hand ergattert haben. Und die als Christen wissen, dass Jesus bzw Yeshua ein Jude ist und dass wir (die Christen) ohne ihre jüdischen Wurzeln nicht existieren würden. In diesem Sinne: courage & shalom & God bless

    1. Hätte der vulgäre Antisemitismus in Deutschland nicht schon seit ewigen Zeiten einen fruchtbaren Boden vorgefunden, hätten die Hasstiraden jenes Adolf Hitler, den Helmut Schmidt häufig als Adolf Arschloch bezeichnete, niemals ihre katastrophale Ernte einbringen können. Hitler war als Person einmalig aber sein pervertiertes Menschenbild wurde durch seine „Volksgenossen“ gewissenlos multipliziert. Wer mit dem Finger nur auf den Herrn aus Braunau zeigt, macht sich mit allen gemein, die nach dem Inferno plötzlich Opfer einer Amnesie wurden.

  3. Hallo Herr Schneider,

    ich habe gerade wieder Ihren Blog entdeckt. Nach Ihrem Abschied aus Rom hatte ich Sie etwas aus den Augen verloren. Ich bin immer wiedre begeistert von Ihren klaren, pointierten Meinungen und Analysen. Machen Sie bitte weiter so. Ihr neues Buch habe ich sofort bestellt. Vielen Dank für Blog und Buch.

  4. Sehr geehrter Herr Schneider,

    Ich muss auch ganz ehrlich sagen, mir sind aehnliche Gedanken, als die in der Email der Frau beschriebenen, durch den Kopf gegangen als ich ihren #MeToo Beitrag gelesen hatte. Da dreht es mir den Magen um, es geht mir durch Mark und Bein. Eben, in der Schule ueber den Holocaust gelernt, nach Strutthof auch nach Auschwitz gefahren, in Krakau im juedischen Viertel ein Cafe besucht, in der Berliner Synagoge gewesen und trotzdem eben von nichts eine Ahnung haben, kein Feingefuehl bekommen zu haben. Es ist schwierig sich einzugestehen wie einfaeltig man da ist. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, da ist man ja schon ein ‚Auswaertiger‘ wenn man vom naechsten Ort kommt und sogar Menschen die nur mit einen anderen deutschen Dialekt sprechen werden dort immer ‚die Anderen‘ sein.

    Ich hab in der Schule jahrelang das Palestinensertuch als Schal getragen, wenn man so sagen kann. Ich hab es glaub ich auch ‚Arafattuch‘ genannt ohne einen blassen Schimmer von der ganzen Situation im Nahen Osten zu haben. Mit den Lichterketten und der Gegen-Rechts-Bewegung in den 90er, da wurde man darauf geeicht, dass die Gefahr von den rechten Glatzen ausgeht. Also man starrt in eine Richtung um den Angriff abzuwenden und wird von hinten ueberrollt. So komme ich mir gerade vor.

    Ich wohne jetzt schon seit 10 Jahren in London und man wird immer wieder mit seinen eigenen Vorurteilen konfrontiert. Das ist auch gut so. Allerdings ist es harte Arbeit alle eigenen Vorurteile abzubauen. Ich hab mich schon in viele Nesseln gesetzt. Oft sind das ja auch Reflexe denen man sich bewusst werden muss, also Reaktionen die so schnell gehen, dass man sie kaum abwenden kann. Das ist keine Entschuldigung, das ist genau das woran man arbeiten muss. Also ich gehe die Strasse entlang, da kommt mir eine schoene Frau entgegen, ein herrlicher Tag ich laechle, sie laechelt, mein Blick faellt auf ihren amputierten Arm, ich schaue weg und lauf vorbei ohne ihr noch einmal laechelnd ins Gesicht zu schauen. Warum nicht, frag ich mich. Das sind doch diese kleinen Reaktionen die zeigen, dass man eben nicht nur auf das Aeussere schaut und Menschen damit nicht das Gefuehl gibt sie auszuschliessen.

    Man ist sich der eigenen Gefuehle die dann aufkommen nicht bewusst und verschliesst sich derer. Dann reagiert man indem man sich verschliesst, sich unbeholfen benimmt oder eben komplett daneben. In diesem Augenblick wendet man sich von der Person ab, auf Grund einer einzelnen Aeusserlichkeit.
    Das naechste was mir an mir selbst auffiel ist wie ich nach einer Situation, in der ich von jemandem mit anderer Hautfarbe bedroht wurde, Angst hatte von Menschen mit der selben Hautfarbe desjenigen, der mich bedroht hatte. Das ist ja nicht im geringsten eine Rechtfertigung, da muss ich an mir arbeiten. Man kann keine solchen Schlussfolgerungen ziehen. Immerwieder sag ich mir: ‚Schau in den Menschen‘ also ‚Lerne ihn kennen. Entscheide niemals, dass der Mensch weniger Wert hat als du‘. Das muss man sich sagen, da man nicht so erzogen wurde. Das ist auch keine Entschuldigung aber eben der Prozess in dem man drinsteckt.

    Ich recherchiere gerade meinen Grossvater, da kommt auch so einiges heraus und klar schaeme ich mich. Schaemen allein bringt ja auch nichts, Menschen mit juedischen Wurzeln fuehlen sich ja auch nicht wohler dabei in Deutschland. Als Kriminalpolizist in den 30er Jahren hat er in Bayern gearbeitet und spaeter bis 1942 an der Grenze zu Slowenien. Er hat auch wirklich nichts nach dem Krieg dafuer getan, dass das bei uns in der Familie aufgearbeitet wurde. Keine Ahnung was so in ihm vorging, ich hab schon nachgefragt, die die in unserer Familie was wissen koennten sagen nichts. Ich muss daran auch noch viel arbeiten, damit ich mich nicht beschaemt verdruecke und mich stattdessen mit einer Person mit juedischen Wurzeln unterhalten kann. Wenn mir die juedischen Wurzeln nicht bewusst sind, dann kann ich das, so absurd ist das alles. So ungeschickt fuehle ich mich.

    Was im Moment so los ist, ist erschreckend auch hier in London. Als sie dann den #MeToo Beitrag veroeffentlicht haben da wurde mir bewusst, dass die Karre schon an die Wand gefahren ist. Nicht dass das mir nicht schon laenger irgendwie klar war aber so bewusst eben nicht. Ich fuehlt man ist irgendwie Teil des Problems. Ich hoere trotzdem nicht auf mich zu bilden um mir bewusst zu machen wo die Fehler im Verhalten liegen, dann macht’s man wenigstens schon ein bisschen besser als gestern..

  5. Liebe Katja, ich bin die Frau mit dieser E-Mail, in der ich Herrn Schneider beschrieben habe, wie die Aufarbeitung des Holocausts damals bei mir in der Oberstufe ablief. Und schlussendlich wurde damit damals wieder Vorurteilen Nahrung gegeben, denn uns hat damals niemand erklärt, was Judentum ist, was dahinter steckt, wie Juden leben usw. Und ganz ehrlich: Es war uns auch scheißegal damals. Religion hat uns nicht interessiert, wie Du auch sagst: die Sache mit dem „Palistinensertuch“. Wir sind damals gegen Atomkraft marschiert und fanden uns wahnsinnig cool, aber im Grunde hatten wir von nix ne Ahnung. Und ich wage mal die These: Heute ist es nicht viel anders. Viele des „gehobenen“ oder „intellektuellen“ Bürgertums wissen zwar nicht, was Judentum genau ist, oder vielleicht so ein bisschen (die tragen Kippa, haben ihren Shabbat und wurden von den Nazis verfolgt), aber in diesen Kreisen weiß man ganz genau, dass es sich nicht schickt, etwas gegen Juden zu haben. Eigentlich ist das ziemlich verlogen. Und weiter gehts: Wer weiß heute schon, was der Islam ist, wenn es „den Islam“ überhaupt gibt. Wer weiß heute, wer Sinti und Roma sind, außer, dass man sie früher Zigeuner genannt hat und sie seit langer Zeit als lästige, streunende und klauende Spezies wahrgenommen werden. Ich glaube, der wirkliche Grund für Antisemitismus und für Rassismus insgesamt ist schlichtweg: ANGST. Angst vor dem Unbekannten, und was man nicht kennt, ist unkontrollierbar, nicht einschätzbar, also gefährlich! Ich weiß, das klingt fast zu einfach, aber ich bin mir sicher: So einfach ist es! Und natürlich gibt es dazwischen auch die vielen Grauzonen, wenn ich mich auf die genannten Beispiele beziehen darf: Roma, die tatsächlich klauen, Islamisten, die den Koran für ihre Zwecke missbrauchen, oder Juden, die menschlich gesehen Arschlöcher sind (ja, ich getraue mich, das über Juden zu sagen!!!). Oder Christen, die sich schämen sollten, sich als Christen zu bezeichnen… und… und… und… Aber RCS hat mir im Zusammenhang mit Antisemitismus und meinen Erfahrungen damals in der Schule geschrieben: das muss jeder mit sich selber ausmachen und damit hat er absolut Recht! Ich halte es inzwischen so, dass ich mir sage, es gibt immer zwei Seiten – bei jedem Konflikt, und ich muss nicht für die eine oder die andere Seite sein; vor allem dann nicht, wenn ich nur wenige Fakten kenne. Und meine Vorurteile behalte ich im Auge… aber ich lächle auch manchmal über sie…

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