Israel und Iran
Iran baut seine Militärpräsenz in Syrien aus, Israel will das verhindern. Eine Eskalation scheint unvermeidbar. Dabei waren Israel und Iran nicht immer erbitterte Gegner.
Von Richard C. Schneider, Tel Aviv
Kürzlich konnten die israelischen Fernsehzuschauer aus den Nachrichten erfahren, dass der Iran israelische Militärstützpunkte im Norden Israels mit Raketen beschießen wird. Die Armee und die Raketenabwehrsysteme seien vorbereitet, man tue alles, um die Zahl der Opfer klein zu halten. Auffällig an dieser Meldung war der Indikativ. Kein Konjunktiv: Es ist ein Fakt, der Iran wird uns angreifen. Eine Botschaft an die eigene Bevölkerung, sich vorzubereiten, aber auch an den Iran und seine Stellvertreter im Libanon und in Syrien: Wir wissen Bescheid, wir haben euch im Auge. Seid gewarnt.
Seit Monaten tobt in Syrien eine Auseinandersetzung zwischen dem Iran und Israel. Der Iran will sich militärisch in Syrien festsetzen und so der Grenze Israels noch näher kommen, um das »zionistische Gebilde«, wie Israel von den Ayatollahs genannt wird, zu vernichten. Für Israel ist dies eine »roten Linie«. Der jüdische Staat erklärte mehrfach, dass eine militärische Präsenz des Irans und seiner Handlanger in Syrien unter keinen Umständen geduldet werde.
Die Zeichen stehen auf Krieg
Lange gelang es Israel, sich aus dem Syrienkrieg herauszuhalten. Die israelische Luftwaffe griff immer nur dann ein, wenn die Geheimdienste Hinweise hatten, dass der Iran der schiitischen Hisbollah-Miliz aus dem Libanon Waffensysteme liefern will, die das Kräftegleichgewicht zu Ungunsten Israels verändern würden.
Die israelischen Angriffe der vergangenen Wochen aber sind eine neue Stufe im immer spannungsreicheren Konflikt zwischen dem Iran und Israel. Nach dem Abschuss einer iranischen Drohne, die in das israelische Hoheitsgebiet eingedrungen war, und der Bombardierung iranischer Ziele in Syrien, die den Abschuss eines israelischen Jets zur Folge hatte, entschied sich Israel, eine noch aggressivere Politik zu verfolgen. Die Zerstörung des sogenannten »T4«-Lagers, von wo die Drohne gestartet war, bedeutete zugleich die Zerstörung eines Lagers mit mehreren Drohnen und angeblich weiteren Fluggeräten des Iran. Dabei kamen auch iranische Militärs um.
Ein Krieg, wie ihn die Region noch nicht erlebt hat
Die Bombardierung mehrerer Ziele vor rund 10 Tagen, bei der über 200 iranische Raketen zerstört worden sein sollen, werden ebenfalls Israel zugeschrieben. Angeblich hatte der Iran diese Raketen für einen Vergeltungsschlag gegen Israel nach Syrien gebracht. Den Vergeltungsschlag hatte der Iran als Reaktion auf die Zerstörung von »T4« angekündigt. Seitdem ist die israelische Armee in ständiger Alarmbereitschaft. Das ganze Land wartet darauf, was Teheran tun wird. Und droht mit massiver Vergeltung. In Syrien, aber sogar im Iran selbst.
Was sich hier im Nahen Osten zusammenbraut ist möglicherweise ein Krieg, wie ihn Israel, ja die gesamte Region so noch nicht erleben musste. Dass dieser Tag möglicherweise schon bald kommen wird, hat eine lange Vorgeschichte.
Man schrieb das Jahr 1993, das Oslo-Abkommen war soeben im Rosengarten des Weißen Hauses unterschrieben worden, Israels Premierminister Jitzchak Rabin hatte Yassir Arafat, dem PLO-Führer, die Hand gegeben. Viele hofften, es werde nun eine Ära des Friedens beginnen. Doch in Israel hetzte die Rechte gegen das Abkommen, es gab im ganzen Land Demonstrationen und gewalttätige Ausschreitungen. In einem Fernsehgespräch erläuterte Rabin, warum das Abkommen mit den Palästinensern eine Notwendigkeit, ja, ein Muss sei. Und dann sagte er:»Wir müssen uns auf unseren eigentlichen Feind konzentrieren, auf den Feind, der eine echte Gefahr für unser Land ist: Iran.«
Israel von der Landkarte tilgen
Die große »Bibi-Show«
Berechtigte Sorgen plus das politische Spiel Benjamin Netanjahus mit den Urängsten des jüdischen Volkes: Das ist das problematische Gemisch, das das Handeln der politischen Führung in Israel derzeit bestimmt. Schon einmal schien Netanjahu soweit, den Iran anzugreifen. Im Spätsommer 2012 vereitelten der israelische Generalstab und die Geheimdienstchefs das Ansinnen Netanjahus. Doch heute sind sich Netanjahu und das Militär einig: Der Iran darf sich nicht in Syrien festsetzen.
Bereits jetzt soll es in Syrien eine Miliz von rund 20.000 Kämpfern geben, die von Teheran ausgebildet wird und ähnlich agieren soll wie die Hisbollah im Libanon. Viele Militärberater der iranischen Revolutionsgarden befinden sich in Syrien, zudem hat der Iran in den vergangenen Monaten begonnen, Militär- und Waffenlager in Syrien aufzubauen, die in den letzten Wochen eben zunehmend ins Fadenkreuz der israelischen Air Force gerieten.
Netanjahu versucht Teheran zu provozieren
Nur einen Tag nach dem letztem Angriff auf iranische Ziele in Syrien folgte der große Medienauftritt Netanjahus, die inszenierte Show eines Mossad-Coups, der sicherlich ein geheimdienstliches Kunststück war: Die Entwendung des Atomarchives aus Teheran und dessen Überführung nach Tel Aviv, das im Einzelnen zeigte, wie weit das militärische Atomprogramm des Irans einst war. Doch warum die große »Bibi-Show«? Warum breitet Israels Premier eine Aktion des Mossad vor der Weltöffentlichkeit aus? Noch dazu hatte Netanjahu keinen Beweis dafür, dass Gefahr im Verzug ist und man deswegen das Atomabkommen mit dem Iran aufkündigen müsse. Die Medien waren sich schnell einig: Bibi versuchte seinem Freund im Weißen Haus die letzten Argumente zu liefern, um das auch von ihm gehasste Abkommen des Barack Obama platzen zu lassen.
Das war sicher ein Grund, warum Bibi diese Inszenierung zur besten Sendezeit suchte und Englisch sprach. Er wollte die Aufmerksamkeit aller amerikanischen Sender haben, von CNN bis Fox NEWS, darüber hinaus aber auch die iranische Führung vorführen. Der israelische Premier versucht Teheran zu einer übereilten Reaktion zu provozieren – um dann der Welt zu zeigen, wie gefährlich der Iran wirklich ist.
Lieber jetzt als später
Es ist ein gewagtes Unterfangen. Doch Militärs und Politik scheinen sich einig: Die Konfrontation kommt sowieso. Also lieber jetzt als später. Lieber jetzt, wo die US-Truppen noch in Syrien stationiert sind und sich der Iran noch nicht vollständig in Syrien breit machen konnte. Lieber jetzt, da die sunnitischen Staaten, allen voran Saudi-Arabien, froh wären, wenn Israel den gemeinsamen Feind in die Schranken weisen könnte.
Ob diese Rechnung aufgeht? Die Angst ist in Israel überall spürbar, vor dem Iran, aber auch vor der eigenen Politik. Viele Israels glauben, Netanjahu könnte die Konfrontation mit dem Iran missbrauchen, um sich an der Macht zu halten und von den Korruptionsvorwürfen gegen ihn abzulenken. Nur deswegen würde der an sich zögerliche Netanyahu wohl keinen Krieg beginnen. Aber niemand kann sicher sein, dass Bibis Kalkül aufgeht und womöglich etwas in Bewegung setzt, was bald niemand mehr kontrollieren kann.
Dieser Artikel erschien am 8. Mai 2018 auf ZEIT ONLINE.
Ein Gedanke zu „Israel und Iran – Die Zeichen stehen auf Krieg“
vielen Dank ,wie immer , so gut verständlich formuliert , dass auch Nicht – Studierte einen Durchblick bekommen , was in diesem komplizierten Gemenge los ist