Israel 2035 – eine, vielleicht, realistische Dystopie. 3. Teil
So, und hier der dritte und letzte Teil meiner „Dystopien“… Ab morgen dann wieder andere Themen
Wir schreiben das Jahr 2035. Und wußten 2020 natürlich nicht, was sich wirklich in Israel und in den palästinensischen Gebieten entwickeln wird…
Doch wenn man sich den „Deal of the Century“ genauer anschaut, erkennt man schnell, daß er Parameter verschiebt. Und damit ist nicht nur die mögliche Annexion von Gebieten im Westjordanland durch Israel gemeint, sondern sehr viel mehr. Nur zwei Beispiele: Auf dem Tempelberg, also dort, wo heute die beiden muslimischen Heiligtümer stehen, die al-Aksa-Moschee und der Felsendom, sollen in den Worten von US-Präsident Trump in Zukunft Menschen aller Konfessionen beten können. Das tun viele radikale jüdische Siedler bereits. Meistens führt das zu heftigen Zusammenstößen mit den Muslimen, die das Territorium als rein muslimisch betrachten und auch dort mit dem „Waqff“ das eigentliche Sagen haben. Aber nichtstdestotrotz hat sich in den letzten Jahren ein zunehmender Strom von nationalreligiösen Israelis zum Tempelplateau entwickelt, um dort, wo einst der jüdische Tempel stand, zu beten. Es sei ihr Recht, sagen sie.
Ja, die israelische Regierung hat mehr oder weniger diesen „Religionstourismus“ zum Plateau unterstützt. Jetzt aber wird es durch die USA – und das bedeutet in diesem Fall: durch rund 50 Millionen Evangelikale – gerechtfertigt und „legalisiert“. Das ist neu und ist – trotz der Versicherung, den Status Quo auf dem umkämpften heiligen Ort zu bewahren – eine fundamentale Veränderung der Realität.
Und ebenso die Überlegung, daß Teile des Meshulashs, des „Dreiecks“ in Wadi Ara, also Städte wie Umm El-Fahem u.a., die heute zum Kernland Israel gehören und wo ausschließlich israelische Araber leben, bald zu „Palästina“ gehören könnten, zum palästinensischen Staat, der entstehen soll. Damit ist eine Idee des rechten Politikers Avigdor Lieberman international anerkannt worden, also zumindest von den USA. Lieberman hat diesen Vorschlag vor mehr als zehn Jahren in einem Wahlkampf zum ersten Mal gemacht. Die israelische Öffentlichkeit reagierte mit Empörung. Dies sei Rassismus und außerdem legal gar nicht durchsetzbar, die Araber in diesem Gebiet sind israelische Staatsbürger, die kann man gar nicht so einfach, wenn auch nicht geographisch, so doch durch eine neue Grenzziehung nach Palästina „abschieben“.
Viele Jahre später hat sich dieser Gedanke längst bis in den Mainstream Israels „vorgearbeitet“. Und nun hat die Trump-Administration ihn übernommen. Nichts ist unmöglich, alles ist denkbar, man muß es nur lang genug propagieren.
Ähnlich sieht es mit der Annexion aus. Was annektiert werden soll und kann und nun auch darf, ist sowieso schon in israelischer Hand. Und Israel wird diese Gebiete, vor allem das strategisch so wichtige Jordantal, mit Sicherheit nicht zurückgeben, an wen auch immer.
Und noch etwas zeigt dieser neue „Friedensplan“, der natürlich zu nichts führen und in Vergessenheit geraten wird, außer eben, daß er Parameter verschoben hat. Wenn man sich die Geschichte der „Teilungs- und Friedenspläne“ seit 1937 anschaut, also seit dem Plan der „Peel-Kommission“, wird man erkennen, daß die Totalverweigerung der Araber und der Palästinenser jedesmal dazu geführt hat, daß ihnen beim nächsten Mal noch weniger angeboten wurde. Weil die Israelis durch Besiedlung, durch Kriege, durch Annexion mehr und mehr Territorium übernommen haben.
Das Nein der Palästinenser zum Trump Plan ist mehr als verständlich. Er ist für sie nicht akzeptabel und jeder wird das verstehen. Aber es wird voraussichtlich dazu führen, daß beim „nächsten Mal“ ihnen noch weniger bleiben wird, vielleicht irgendwann mal gar nichts mehr. Und die Befürchtung, die viele haben, daß es dann zu e i n e m Staat zwischen Mittelmeer und Jordan kommen wird, in dem die Palästinenser dann die Staatsbürgerschaft, die israelische wohlgemerkt, einfordern werden, die sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Ich sehe eher einen Massenexodus der Palästinenser, beziehungsweise eine neue Vertreibung, die am Ende niemanden wirklich interessieren wird. Die Welt dreht sich weiter, die Entwicklungen im Nahen Osten schon heute zeigen, daß das Interesse der arabischen Welt für die Palästinenser geringer ist als das der europäischen Linken. Die Probleme, vor denen der Nahe Osten steht, sind so gewaltig, daß muslimische Länder – wahrlich nicht aus zionistischen Liebesgefühlen heraus – die Zusammenarbeit mit Israel suchen, einfach, weil man auf das „Powerhouse“ Israel nicht mehr verzichten kann. Nicht im Sicherheitsbereich, nicht in der Forschung, nicht in der Energieversorgung.
Und so ist eine mögliche, realistische Dystopie für 2035, daß sich das „Palästina-Problem“ durch die permanenten Fehleinschätzungen und politischen Irrtümer der palästinensischen Führungen der vergangenen Jahrzehnte und der aktuellen Gegenwart erledigen wird. Dieser Konflikt war nie ein Konflikt um eine 2-Staaten-Lösung. Gewiß, es gab auf israelischer Seite einige Politiker, die das wirklich wollten, auch auf palästinensischer Seite gab es führende Köpfe, die mit Realitätssinn und Vernunft die Teilung des Landes akzeptierten. Aber in Wahrheit ist die Auseinandersetzung eine andere. Sie lautet: Sie oder wir. Wir Israelis oder die Palästinenser. Wir Palästinenser oder die Israelis. Es geht um alles oder nichts. Das ist nicht die Lösung im Sinne westlich-liberaler Vorstellungen, es ist keine „demokratische“ Lösung eines massiven Problems. Aber es könnte sein, daß dies doch der wahre Grund ist, warum Frieden bislang nicht gefunden werden konnte. Weil in den entscheidenden Momenten der Geschichte beide Seiten für den Frieden nicht bereit waren und tief im Herzen etwas ganz anderes wollten: Das ganze Land.
Und so scheint es aus der heutigen Sicht, 2020, daß die Palästinenser 2035 verloren haben könnten. Was das zur Folge haben wird, was für ein Staat Israel dann sein wird, wieviel Blut bis dahin und auch danach vergossen wird – das steht auf einem anderen Blatt. Aber das könnte dann nicht mehr zur Debatte stehen, weil es, brutal gesagt, keine Rolle mehr spielt.
2 Gedanken zu „Israel 2035 – eine, vielleicht, realistische Dystopie, 3. Teil“
Und sich mit den Palästinensern anzufreunden und zu einer Nation zusammen zu wachsen ist keine Option? Vielleicht hatten viele von ihnen sogar jüdische Vorfahren und sind nur unter dem Druck der Islamisierung konvertiert. Oder eben in ein anderen Land der eigenen Wahl auszuwandern und dort Teil der einheimischen Nation zu werden ist auch keinen Option? Jedenfalls könnten beide Optionen möglicherweise viel Leid in der Zukunft verhindern?! So scheint das Land der unheiligen religiösen Konflikte weiterhin für alle seine Bewohner vor allem viele Probleme bereit zu halten.
Und das Land als ganz normales Land zu deklarieren, das genauso wenig heilig ist, wie alle anderen Länder dieser Welt auch, würde wohl auch nicht viel nützen. Schließlich glaubten die Babylonier einst, der Mittelpunkt der Welt läge in Babylon, die Griechen deklarierten ihn in Delphi mit dem Nabel der Welt und die Chinesen wähnte sich auch im Mittelpunkt der Welt. Aber religiöse Fanatiker lassen es natürlich nicht zu, das ihre Weltsicht relativiert wird.
Was wäre, wenn eine Gruppe von liberalen Juden von einem Land, das sehr dünn besiedelt ist, wie etwa von einem der 20 am wenigsten dicht besiedelten Länder der Welt https://de.statista.com/statistik/daten/studie/751707/umfrage/laender-mit-der-geringsten-bevoelkerungsdichte/ legal ein größeres Gebiet erwerben würde, um einen neuen, freien jüdischen Staat zu gründen? Ohne die ewig gleichen religiösen Konflikte im Nahen Osten. Ohne die ewige Bedrohung durch die aus ihrem eigenen Land vertriebenen Palästinenser. Ohne Ultraorthodoxe, die immer wieder die Demokratie bedrohen, weil sie diese nicht schätzen. Wäre das nicht eine Perspektive für ein modernes jüdisches Land ohne all die historischen Altlasten? Schade, dass diese Überlegungen, die früher ja durchaus schon einmal verfolgt wurden, nicht umgesetzt wurden.
Ansonsten sehe ich für Israel nur dann eine friedliche Zukunft, wenn es allen Palästinensern das Recht gewährt in ihrem ursprünglichen Heimatland zu leben. Haben sie doch mindestens das gleiche Recht darauf in dem Land ihrer Vorfahren zu leben, wie die Israelis.