Israel 2035 – eine „fröhliche“ Dystopie, Zweiter Teil.
Viel „Spaß“ mit einer neuen Dystopie. Morgen kommt der dritte und letzte Teil der „fröhlichen“ Dystopien.
Wir schreiben das Jahr 2035. Die Lage in der Region zwischen Mittelmeer und Jordan hat sich seit der Verkündung des sogenannten „Deals of the Century“ im Jahr 2020 radikal verändert. Allerdings völlig anders als die beiden Betreiber des Friedensplans, der damalige israelische Premier Benjamin Netanyahu und der 45. US-Präsident Donald Trump, sich das vorgestellt hatten. Damals wurde den Palästinensern gerade mal 70% des Westjordanlands und Abu Dis, ein kleiner Stadtteil von Ostjerusalem, als „Hauptstadt“ für ihren Staat angeboten. Der damalige Palästinenserpräsident Abbas lehnte dieses – in seinen Worten – „erniedrigende“ Angebot ebenso vehement ab wie sein politischer Widersacher, Hamas-Führer Ismail Haniyeh. Weder Trump noch Netanyahu hatten ernsthaft damit gerechnet, daß die Palästinenser ja sagen würden. Man gab ihnen 4 Jahre Zeit, um sich zu entscheiden, aber vor allem Premier Netanyahu, der inzwischen wegen Korruption verurteilt, aber aufgrund seines hohen Alters begnadigt wurde, war damals überzeugt, daß die Palästinenser, wie immer in ihrer Geschichte, so auch dieses Mal, das für sie schlechteste Angebot aller Zeiten ablehnen werden. Der heimliche Plan der israelischen Rechte war natürlich, daraufhin allmählich auch jene 70% des Westjordanlands zu übernehmen, die für einen Palästinenserstaat vorgesehen waren.
Doch Ahmad Darwish machte den Amerikanern und den Israelis einen Strich durch die Rechnung. Der greise Abbas mußte 2023 abdanken, da seine gesundheitliche Situation sich immer weiter verschlechterte. Da er keinen wirklichen Nachfolger aufgebaut hatte, kam es in den Palästinensergebieten zu schweren Kämpfen zwischen den verschiedenen Fraktionen der Fatah-Organisation, um jeweils ihren Führer als neuen Präsidenten und Chef der Fatah durchzusetzen. Viel Blut wurde unter den Palästinensern vergossen, Israel freute sich darüber, konnte es so seine Siedlungstätigkeit weiter ausbauen. Obwohl etwa das Jordantal von Washington zur Annexion freigegeben war, hatte Israel aus verschiedenen Gründen gezögert, dies auch zu tun. Denn es sah sich zwei Problemen ausgesetzt: zum einen einer Anklage des Internationalen Gerichtshofes wegen Bruch des Völkerrechts, zum anderen aber, und das war entscheidender, weil der jordanische König damit drohte, den Friedensvertrag mit Israel im Falle einer Annexion aufzukündigen. Doch Jerusalem war auf ein stabiles Jordanien angewiesen, in den Jahren nach 2020 wuchs der Einfluß des Iran in der Region immer mehr, überall, mit Ausnahme Jordaniens hatten die Mullahs starke Milizen aufgebaut. Somit konnte Israel an seiner Ostflanke nichts riskieren. Tatsächlich hatte man das israelische Gesetz gänzlich auf das Jordantal übertragen, was de facto einer Annexion gleichkam, aber eine offizielle Übernahme des Gebietes blieb aus.
2024 dann hatte sich Ahmad Darwish, ein junger Palästinenser, damals gerade mal 38 Jahre alt, mit einem Doktorat in Politik von der Harvard-Universität, als neuer starker Mann der Fatah durchgesetzt und wurde zum neuen Präsidenten der Palästinenser gewählt.
Unmittelbar nach seiner Amtsübernahme kontaktierte er Washington und Jerusalem und erklärte, man nehme das Angebot aus dem Deal of the Century an, die vier Jahre seien ja noch nicht abgelaufen. Mit anderen Worten: die neue palästinensische Führung erklärte sich bereit, auf 70% des Westjordanlands ihren Staat zu errichten, mit Abu Dis als neue Hauptstadt. In den USA und Israel herrschte Verwirrung. Die radikal-islamische Hamas protestierte, ebenso der islamische Jihad, mehrere Attentate auf Darwish wurden unternommen, doch wie durch ein Wunder überlebte der junge Politiker stets.
Ende 2024, nach nur acht Wochen Verhandlungen mit der neuen israelischen Regierung ohne Netanyahu und unter der Ägide der USA, wurde ein Vertrag zwischen Israel und Palästina geschlossen. Der Frieden schien da zu sein. Endgültig. Nach Jahrzehnten des Krieges, des Hasses, des Blutvergießens.
Im Sommer 2025 dann wurde ganz offiziell der neue Staat Palästina ausgerufen. Das palästinensische Kabinett kam zu einer ersten konstituierenden Sitzung in Abu Dis zusammen. Ausgerechnet im Parlamentsgebäude, das Yassir Arafat im Zuge der Osloer Friedensverhandlungen ohne Wissen der Israelis hat bauen lassen und das seitdem leer stand.
Die Ausrufung des Staates war allerdings begleitet von gewaltsamen Auseinandersetzungen palästinensischer Extremisten gegen die Palästinensische Autonomiebehörde, die nun offiziell: „Regierung von Palästina“ hieß. Zahlreiche Menschen wurden von den Sicherheitskräften erschossen, Hunderte wurden verhaftet. Auch an der Grenze zu Israel kam es zu Zusammenstößen mit der israelischen Armee.
In einer ersten Rede als Präsident Palästinas, rief Darwish sein Volk zur Geduld auf. „Unser Aufbau eines Staates hat erst begonnen. Wir haben einen wichtigen Schritt unternommen, es ist noch nicht vorbei.“
In den internationalen Medien, und natürlich in Israel, wurde gerätselt, was Darwish wohl gemeint haben könnte. Erst 2027 begann sich das Bild aufzuhellen. Palästina, nun ein tatsächlich existierender Staat, war Mitglied aller internationalen Organisationen und Gremien geworden. Die palästinensische Regierung reichte beim internationalen Gerichtshof eine Reihe von Klagen ein, die Israel beschuldigten, privates palästinensisches Land geraubt zu haben. Palästina bestand darauf, daß Israel diese Ländereien zurückgeben mußte.
Die Regierung in Jerusalem reagierte entsetzt, als einige Klagen erfolgreich durchgingen und auch nach mehreren Revisionsverfahren rechtskräftig wurden. Israel wollte diese Gebiete natürlich nicht mehr herausgeben, doch der neue Präsident der USA, ein Demokrat, setzte Israels Premier massiv unter Druck. Man habe nun endlich Frieden erreicht, der Terrorismus beginne nachzulassen, Israel solle das Gebiet den Palästinenser zurückgeben. Jerusalem hatte keine Wahl, erst recht nicht, nachdem die internationale Staatengemeinschaft mit einem Wirtschaftsboykott drohte, sollte Israel das Gerichtsurteil nicht anerkennen.
Bei der feierlichen Übernahme des Territoriums rief Präsident Darwish: „Wir stehen immer noch am Anfang des Aufbaus unseres Staates. Der Kampf um unser Recht geht weiter!“
Am selben Abend gab er der US-Journalistin Christiane Amanpour ein einstündiges Exklusiv-Interview. Auf ihre Frage, was er denn eigentlich plane, erklärte Darwish: „Wissen Sie, ich habe von den Zionisten gelernt. Alle meine Vorgänger hatten stets den Fehler gemacht immer alles zu wollen. Und sie bekamen immer weniger bis nichts. Doch wer die Geschichte des Zionismus studiert hat, so wie ich, konnte ein klares Muster im politischen Vorgehen der Israelis erkennen: Sie nahmen immer das an, was sie bekommen konnten. Und machten dann weiter. So vergrößerten sie ihr Territorium, nach und nach und blieben über Jahrzehnte erfolgreich. Also dachte ich mir: wir machen jetzt das gleiche. Die Ausgangsposition ist nicht gut, sehen sie sich nur diesen zerrissenen Fetzen an, den wir im Augenblick „Palästina“ nennen. Mitten in unserem Staat gibt es kleine israelische Enklaven mit Siedlungen, die uns stören und unseren Waren- und Personenverkehr erschweren, aber – wir haben einen Anfang gemacht!“.
2030 kam es zu einem brutalen Palästinenseraufstand, bei dem Hunderte von Siedlern in eben diesen Enklaven ermordet wurden. Der Aufstand kam über Nacht, der israelische Inlandsgeheimdienst hatte keinerlei Informationen und so hatten die Siedler keine Chance. Diejenigen, die überlebten, waren geflohen, hinein ins Alt-Land Israel oder hinüber ins Jordantal. Die israelische Armee drohte mit massiver Vergeltung, doch ausgerechnet Teheran und die Hizbollah warnten Jerusalem vor Vergeltungsmaßnahmen. Teheran besaß inzwischen die Atombombe und die Hizbollah hatte eine Reihe von taktischen Nuklearraketen in Syrien und Libanon stationieren können, die ganz Israel bedrohten.
Israels Premier wollte sich zunächst davon nicht beeindrucken lassen und drohte seinerseits. Israel hatte inzwischen seine Doktrin des Unausgesprochenen aufgegeben und nach dem Nukleardurchbruch der Iraner im Jahr 2023 verkündet, man verfüge über mehr als 250 Atombomben, niemand solle sich mit Israel anlegen. Und so erklärte Jerusalem, daß man im Falle eines Nuklearangriffes auf Israel alle Städte Irans, insbesondere Teheran, Isfahan und Maschad zu Nuklearstaub verwandeln werde. Doch das Regime in Teheran beeindruckte das nicht. Die Ayatollahs wurden deutlich: Israel sei ein ‚ein Bomben-Land‘. Eine einzige Atombombe zerstöre den jüdischen Staat auf ewig. Iran könne selbst nach Atombombenangriffen überleben, so wie einst Japan, man sei zu groß. Und man würde das Opfer auf sich nehmen, es sei eine Ehre als Shaheed zu sterben.
Israels Generäle warnten ihren Premier. Man müsse diese Drohung ernst nehmen, der Ton sei anders als bislang, offensichtlich seien die Ayatollahs zu allem bereit. Die USA intervenierten, aber es waren vor allem Moskau und Peking, die sofort einen diplomatischen Kanal zwischen Teheran und Jerusalem einrichteten, die Amerikaner hatten im Iran nichts zu melden. Israel blieb nichts anderes übrig als klein beizugeben. Palästinenserpräsident Darwish jubelte: „Endlich hat sich das Schicksal zu unseren Gunsten gewendet. Wir holen uns allmählich Palästina zurück!“
Und nun, 2035 und nur fünf Jahre später, hat Palästina sein Staatsgebiet um inzwischen ein Drittel vergrößern können. In Israel herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, die Siedler und die israelischen Rechtsextremisten kämpfen mit Terror und Waffengewalt gegen die eigene Regierung, der sie Duckmäusertum und Schwäche vorwerfen. Israels Premier sprach in einem TV-Interview im israelischen Kanal 13 vom Deal of the Century als einem „Danaer-Geschenk“. Was Trump und sein Vorvorgänger Netanyahu damals ausgeheckt hatten, könne zum Ende des jüdischen Staates führen. Man habe keine Wahl als nachzugeben, die internationale Staatengemeinschaft werde einen gewaltsamen Konflikt nicht mehr zulassen, ganz zu schweigen von einem Nuklearkrieg.
Wenige Tage nach dem Fernsehinterview machte die israelische Zeitung „Haaretz“ mit einem Scoop auf: Israels Premier und Ahmad Darwish hätten sich mehrfach in Oslo getroffen, um eine echte, endgültige Lösung zu finden, ohne Beteiligung der Amerikaner. Angeblich sei Israel bereit, sich auf die Grenzen von 1967 zurückzuziehen bei einer Beibehaltung der Souveränität über die jüdischen heiligen Stätten. Darwish solle damit einverstanden sein. Die israelische Regierung dementierte den Bericht umgehend, doch Israels Rechtsradikale fordern das Militär auf gegen die „verräterische, anti-zionistische Regierung“ zu putschen. Tatsächlich sind einige Eliteeinheiten, die überwiegend aus Siedlersöhnen bestehen, zu den Aufständischen übergelaufen. Niemand in Israel weiß im Augenblick, wie es weitergehen wird.
Ein Gedanke zu „Israel 2035 – eine „fröhliche“ Dystopie, 2. Teil“
Endlich mal Klartext!!! Das hatte mir bisher an dieser Stelle oft gefehlt.