Gaza: Und täglich grüßt das Murmeltier

Gestern war ein absurder Tag. Die heftigen Kämpfe zwischen Israel und Hamas/Islamischer Jihad in und um Gaza waren für mich – und viele andere – eine Art »Groundhog Day«, wie das auf Englisch heißt. Zu Deutsch:»Und täglich grüßt das Murmeltier.« Ich habe als Korrespondent alle drei Kriege zwischen Israel und Gaza gecovert. Und auch da war es jedesmal so, daß man irgendwie dachte, man sei im ewig selben Film. Das ging soweit, daß man schon wußte, wo man seine Kamera aufstellen mußte, um von der einen oder anderen Seite die besten Bilder zu bekommen …

 

Waffenstillstand: Wird er halten?

Und in der Nacht zu gestern ging es dann wieder los: Die App mit dem Code Red Alarm surrte beständig bis in den Abend hinein. Dann endlich: Stille. Das Zeichen, daß der ausgehandelte Waffenstillstand möglicherweise halten könnte. Heute morgen sehr früh aufgewacht und gemerkt, daß es überwiegend ruhig geblieben war. »Nur« vier Angriffe aus Gaza. Der Waffenstillstand könnte funktionieren. Für den Moment.

Für die Menschen in Gaza und in den anliegenden israelischen Orten bedeutet das aber nichts. Sie sind seit Wochen wieder im Ausnahmezustand in ihrem Alltag. Und die Kites und Ballons und Kondome, die aus Gaza hinübergeschickt werden mit Molotov-Cocktails und anderen Brandauslösern, haben in den vergangenen Wochen fast täglich mehrere Brände auf israelischem Territorium und Feldern ausgelöst, der Schaden geht in die Millionenhöhe.

 

Und dann war da noch: die israelische Opposition

Was mir gestern auffiel, war vor allem die Hilflosigkeit der israelischen Opposition. Die Aufrufe und Forderung an die eigene Regierung, endlich mal anders zu reagieren als mit der Armee, mit Vergeltungsschlägen und noch mehr militärischer Gewalt, ist zwar löblich und klingt vor allem in den Ohren westlicher, linker Gruppen »schön«. Aber im Grunde sind das hilflose Versuche, auf sich aufmerksam zu machen:»Hallo, uns gibt es auch noch. Wir haben nichts zu sagen und nichts zu melden, aber hey … wir sind da! Wählt uns nächstes Jahr, wenn die Wahlen kommen. Wir sind eine Alternative!«

 

Ein Hafen für Gaza

Ach ja? Die Tragik der israelischen Politik ist, daß weder Yair Lapid noch Avi Gabbay eine Alternative sind. Und Tamar Zandberg natürlich auch nicht. Womit – das muß ich betonen – ich keinesfalls sagen will, daß man deswegen erneut Bibi wählen soll. Mitnichten. Aber: die Linke oder das Zentrum (oder wie immer sich die Opposition bezeichnen will) haben letztendlich auch keine Konzepte, wie man mit den großen Problemen umgehen soll. Was sie befürworten, ist zunächst eine wirtschaftliche Unterstützung für den Gaza-Streifen. Das ist angesichts der prekären Lage der Menschen ganz gewiß richtig und wichtig. Es gibt die Pläne, einen Hafen auf Zypern zu installieren, der von den Israelis kontrolliert wird, aber über den alle Waren, die Gaza benötigt, eingeführt werden könnten. Es gibt einige Regierungsmitglieder, die das befürworten. Aber so wirklich geschieht nichts. Auch wenn Israel immer wieder darauf verweist, daß über die israelischen Checkpoints und Grenzstationen alles an Zulieferungen für Gaza kommt, aber so gut wie nichts von der ägyptischen Seite, so ist das letztendlich alles zuwenig. Und als Reaktion auf die Brände durch Kites und Ballons etc., hat Israel ja letzte Woche beschlossen, außer Nahrung und Medizin, nichts mehr nach Gaza reinzulassen.

 

Wirstchaft »befriedet« Gaza?

Also die Opposition: Sie will Gaza wirtschaftlich auf die Beine helfen und glaubt so, das Problem in den Griff zu bekommen. Glaubt so, eine kreative Alternative zu schaffen zur zugegeben wahrlich »unkreativen« Politik Netanyahus, die ganz gewiß nichts bringt, außer nach heftigen Bombardements, mehr oder weniger lange Phasen der scheinbaren Ruhe zu »gewinnen«. Doch die Opposition vergißt, daß Gaza mit Wirtschaft allein nicht »befriedet« werden kann. Weder Hamas noch der Islamische Jihad werden sich davon abhalten lassen, ihren Kampf gegen Israel fortzusetzen. Und die moribunde PA wird ihren Hass und ihren Bruderkrieg mit der Hamas auch weiter fortsetzen, und somit die Lage der Menschen in Gaza weiter verschlechtern (Stichwort: Elektrizität, als ein Beispiel).

 

Die »Stimme der Vernunft«

Nein, die Wahrheit ist: Niemand hat eine Lösung für Gaza. Auch die Opposition nicht. Und wie sich deren Politiker gestern hingestellt haben, um gegen den übermächtigen Netanyahu sozusagen »anzustinken«, das war – wenn man israelisches TV gestern verfolgt hat – einfach nur: jämmerlich. Vor allem in Zeiten, in denen die Emotionen der Bevölkerung überschwappen und man nur »Vergeltung, Vergeltung« ruft. Ja, die »Stimme der Vernunft« müßte gerade dann zu hören sein. Sie war – indirekt – zu hören. Israel wollte nicht in eine echte Eskalation hineinrutschen. Bibi kann Gaza als akutes Problem gerade nicht wirklich brauchen. Iran, Syrien, Hizbollah – das ist das »Spielfeld«, das das größere, existentiellere Problem für den Augenblick ist.

Nach dem gestrigen Tag sind mir nur zwei Dinge klar: Die nächste kriegerische Runde mit Gaza wird kommen. Eher bald als später. Und: mit einer so hilflosen Opposition braucht Netanyahu die nächsten Wahlen nicht zu fürchten. Falls er bis dahin nicht angeklagt und möglicherweise wegen Korruption verurteilt wird. Aber danach schaut es derzeit auch nicht aus.

 

Richard C. Schneider, Tel Aviv

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