Militante Juden kämpfen gegen die Hamas – in deutschen Kaffeehäusern

Nichts finde ich lustiger als all die europäischen oder amerikanischen Juden, die in schönem Abstand zum eigentlichen Kampfgebiet, also in München oder Berlin oder sonstwo, sitzen und militante Reden schwingen, wie man die Hamas bekämpfen muß, daß man die Hand nicht austrecken darf gegenüber:»… jemandem, dessen einziges Lebensziel ist, mich umzubringen.« Das schrieb auf meiner Timeline bei Facebook ein flüchtiger Bekannter aus München. Und ich scheue mich nicht, ihn zu nennen, denn er hat seine Posts ja öffentlich gemacht. Ich kenne ihn kaum und es geht mir auch nicht um ihn als Person. Weder will ich ihn hier verunglimpfen, noch sonst etwas. Aber so wie er reagieren viele Juden in Europa (auch oft in Reaktionen zu meinem Blog). Sie sind besonders »mutig« und «kampfeslustig« in ihren Kaffeehäusern auf der Leopoldstraße oder Unter den Linden. Und wissen häufig nicht, was wirklich vor Ort geschieht. Sie behaupten, daß Israel so oft die Hand ausgestreckt habe und sie immer »ausgeschlagen« wurde, daß also Israel immer »der Gute« war und die Hamas oder Palästinenser »die Schlechten«. Schwarz–Weiss, also. Wenn’s nur so einfach wäre!

 

Längst reden Hamas und Israel miteinander

Weder ist Israel immer »der Gute« oder »der Schlechte«, noch sind es die Palästinenser. Ist die Hamas eine islamistische Terrorgruppe, die den Staat Israel, die Zionisten, vernichten will? Ja. Ist sie. Aber das ändert nichts daran, daß Israel in Sachen Gaza in der Vergangenheit häufig Fehler gemacht hat und vor allem: daß beide Seiten seit vielen Jahren sehr wohl miteinander reden!

Sie reden miteinander in vielerlei Hinsicht. Ob es um den Austausch von Gefangenen geht, um Waffenstillstandsvereinbarungen und vieles mehr. Nein, sie reden nicht direkt miteinander, sondern über Vermittler. Manchmal ist das Ägypten oder Katar, manchmal Deutschland, manchmal noch andere Player, die zwischen beiden Seiten hin- und herpendeln (wie 2012 etwa in Kairo, als Delegationen der Hamas und Israel in einem Hotel in zwei Zimmern saßen und die Ägypter zwischen den Zimmern hin- und herliefen, um den Waffenstillstand beim zweiten Gaza-Krieg zu vermitteln.

 

Auch die PLO wollte Israel zerstören

Man redet also – und hat damit längst die »Existenz« des anderen anerkannt. Israel erkennt die Existenz einer Organisation an, »dessen einziges Lebensziel [es] ist, mich umzubringen« – wie der Eintrag auf meiner Facebook-Seite besagt. Was gern vergessen wird: auch die PLO war eine Organisation, die den Staat Israel zerstören wollte. Und doch begann man miteinander zu reden. Geheim. In Oslo, bevor die PLO offiziell Israel anerkannte. Und umgekehrt.

 

Eine Tahidiyeh?

Schon lange gibt es Hinweise, daß die Hamas an einer »Tahidiyeh« interessiert ist, an einem langfristigen Waffenstillstand. Warum wird dieser nicht ausgehandelt? Israel sollte größtes Interesse daran haben, vor allem angesichts der iranischen Bedrohung, die viel existentieller ist als die Hamas es jemals sein kann. Die Wahrheit ist doch: Israel will, daß die Hamas die Macht in Gaza behält. So herrscht dort wenigstens einigermaßen Ordnung, als wenn Hamas die Macht verlieren würde und diverse, noch radikalere Organisationen in Gaza die Geschehnisse bestimmen könnten und man keinen »Adressaten« mehr hätte.

Das heißt alles noch lange nicht, daß man nicht auf der Hut sein muß bei der Hamas. Sie ist eine radikal-islamische Organisation, ihre Ziele sind klar: Sie wollen einen islamischen Staat mit der Scharia als Gesetz in ganz Palästina. Aber erstens wird Israel nicht verschwinden – und wenn, dann verschwinden alle anderen drumherum gleich mit und dann ist sowieso alles egal – und zweitens hat auch die Hamas mit Realitäten zu kämpfen und sei es nur die katastrophalen wirtschaftlichen Mißstände in Gaza.

Warum sollte sich Israel also keine Ruhe im Süden verschaffen, zumindest für den Moment? Machen wir uns nichts vor, die Tatsache, daß Israel mit der Hamas nicht »tachles« redet, hat auch häufig innenpolitische Gründe, wenn rechte Parteien sich in ihrer Radikalität gegenseitig zu überbieten versuchen, um die rechte Wählerschaft für sich zu gewinnen, die üblichen politischen Querelen, wie wir das gerade in Deutschland ja auch bei den rechten Parteien beobachten können.

 

Man macht Frieden nicht mit Freunden, sondern Feinden

Nein, Israel kann es sich nicht leisten, naiv zu sein. Die Hamas ist wahrlich kein Freund, wird es wahrscheinlich nie sein. Aber man könnte durchaus mehr tun, um Ruhe, wenn schon nicht Frieden, zu bekommen. Immer nur neue Waffengänge werden langfristig nichts bewirken. Und wie heißt es so schön:»Man macht Frieden nicht mit Freunden, sondern Feinden.«

Sollen doch die Militanten auf der Leopoldstraße und Unter den Linden weiterkämpfen. Diejenigen, die wirklich kämpfen müssen, wären froh, wenn sie es nicht mehr ständig tun müßten. Dafür müßte die Politik endlich mal kreativ werden. Auf »altbewährte« Methoden kann man immer noch zurückgreifen. Wenn eine »Tahidiyeh« nicht funktionieren würde, dann hätte man es zumindest versucht. Zu verlieren hätte Israel nichts. Es könnte nur gewinnen. Hoffentlich.

 

Richard C. Schneider, Tel Aviv

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