Als ich heute morgen aufwachte, sah ich, daß kurz zuvor eine Rakete der Hamas in einem Örtchen gleich bei Tel Aviv eingeschlagen war. Sieben Menschen wurden verletzt, davon drei Kinder. Mir war sogleich klar, was das bedeutete. Da ich nicht weit vom Strand entfernt wohne, hörte ich bald immer wieder Flugzeuge und Helikopter in Richtung Süden, also Gaza, fliegen.
Sogleich dachte ich an das Problem, das Netanyahu nun haben dürfte: Einerseits muß er – besonders jetzt im Wahlkampf – „militant“ auftreten, andererseits kann er es sich kaum leisten, einen Krieg mit der Hamas zu beginnen und möglicherweise mit Bildern von Särgen israelischer Soldaten den Wahlkampf fortsetzen zu müssen.
Zu weich, zu schwach
Und dann erhielt ich Tweets des oppositionellen „Blau-Weiss“ Bündnisses von Herausforderer Benny Gantz. Er wirft Bibi vor, keine vernünftige Politik gegenüber der Hamas zu haben, zu weich, zu schwach zu sein, und daher könnte das Zentrum Israels angegriffen werden. Also, man merke: Die Opposition, die „Mitte-Links“ Bewegung (Große Frage wie mittig oder links sie wirklich ist) fordert den Premier auf, hart gegen Hamas zu reagieren. Also: more of the same. Würden sie es besser, anders machen, wenn sie an der Macht wären diese ehemaligen Generalstabschefs?
Das ist also übrig von der Opposition? Arbeitspartei und Meretz hört man so gut wie nicht. Nun ja.
Und dann las ich einen Artikel von Bradley Burston in Haaretz: https://www.haaretz.com/israel-news/israeli-palestinian-conflict-solutions/.premium-on-a-clear-day-in-the-west-bank-you-can-see-the-israel-you-lost-forever-1.7044362
Eine gewisse Naivität
Burston, der Linke, besucht eine der Ikonen der Siedlerbewegung: Daniella Weiss. Er hört ihr zu und ist ein wenig überrascht, daß sie immer schon genau vorhergesehen hat, wie sich die Dinge in Israel entwickeln werden. Sie ist überzeugt, daß dies die glorreiche Zukunft Israels bedeutet, er ist sich sicher, daß dies das Ende des Jüdischen Staates bedeuten könnte.
Was mir bei diesem Artikel auffiel, ist eine gewisse Naivität gegenüber der Siedlerbewegung. Nicht, daß Burston nicht gewußt hat, was im Westjordanland geschieht, er war als aktives Mitglied der Peace Now Bewegung oft genug auf Demos gegen Siedler, aber er hat offensichtlich deren Ideologie nie wirklich ernst genommen – wie so viele Linke, die bis heute den Siedlern nicht zuhören wollen, sie für messianische Eiferer, Verrückte halten.
Diese Menschen meinen, was sie sagen
Ich traf Daniella Weiss das erste Mal 1997 als ich für mein ein Jahr später erschienenes Buch „Israel am Wendepunkt. Von der Demokratie zum Fundamentalismus?“ recherchierte. Ich begriff sofort, daß man Menschen wie Daniella ernst nehmen muß. Sie saß mit mir in ihrem Büro in Kdumim, der von ihr gegründeten Siedlung bei Nablus, wo inzwischen rund 10 000 Israelis leben. Hinter ihr, an ihrer Pinnwand, eine Postkarte aus Holland – mit Tulpen. Und sie erzählte mir ganz begeistert, daß so eines Tages Samaria aussehen soll – mit Tulpen. Und sie erzählte mir auch, daß Israel eines Tages bis nach Damaskus und noch weiter reichen würde, quasi die einstigen biblischen Ausmaße… Sie erzählte mir damals, was sie nun Bradley Burston nochmal erzählte. Ich fand das zwar ebenfalls irrsinnig, aber ich nahm sie ernst. Vielleicht, weil ich eine jüdisch-religiöse Erziehung erhalten hatte und deswegen wußte, daß diese Menschen wirklich meinen, was sie sagen. Daß sie ein Momentum seit der Staatsgründung hatten und haben, das der Linken fehlt: Der „göttliche“ Aspekt der jüngsten Geschichte, die für alle Juden nach dem 6-Tage-Krieg immer etwas von einem „Wunder“ hatte. Vor allem nach dem Holocaust.
Ich traf Daniella wieder 2010 als ich für die ARD einen Film über die Siedlerbewegung drehte: „In Erwartung des Messias“, der im Ersten lief. Sie erinnerte sich an mich, wir unterhielten uns gut, sie wußte, daß sie mir nicht das kleine Einmaleins der Thora und der religiösen Mission „erklären“ mußte, ich war mit der Terminologie ja bestens vertraut als einst religiöses Kind. Und 2010 wußte ich, daß sie gewinnen würde, nein, gewonnen hat. Ich wußte, daß Obama mit seiner Forderung, Israel müsse für 10 Monate den Siedlungsbau stoppen, um den Friedensprozeß voranzubringen, am Ende scheitern würde.
Wer ist Obama?
Ich interviewte Daniella für den Film – ebenso wie Benny Katzover, Waldmann und all die anderen „Siedlerpromis“ – draußen, dort, wo das Wichtigste für sie war: Das Land Israel, wie sie es nennen.
Ich fragte Daniella nach Obama: „Obama?“ rief sie mit singender Stimme, „Wer ist Obama? Ich bin nicht beeindruckt von Obama. Hinter mir befindet sich Schchem (Nablus), da hat Gott den Bund mit uns erneuert, dort war Joshua vor Tausenden von Jahren, und nun sitze ich da und erfülle Gottes Plan. Wer ist Obama? Nein, ich bin nicht beeindruckt“.
Sie sollte Recht behalten. Wo ist Obama heute? Sie aber, sie ist immer noch da. Und die Siedlerbewegung hat längst gewonnen. Siedler sitzen in vielen wichtigen Positionen und Funktionen des Staates, eine Evakuierung der Siedler aus dem Westjordanland, oder wenigstens Teilen davon, ist kaum vorstellbar.
Der dritte Untergang?
Daniella ist inwzischen Urgroßmutter. Sie weiß, daß ihre Urenkel in Samaria als integraler Bestandteil Israels zuhause sind. Aber was auch sie nicht wissen kann ist, ob das für immer so bleiben wird. Israel ist zweimal untergegangen. Ein drittes Mal würde möglicherweise einen Weltkrieg auslösen, ist aber nicht undenkbar. Und dann? Dann ist es egal, ob man Weiss oder Burston oder sonstwie heißt.
Ein Gedanke zu „Die Naivität der israelischen Linken“
Diese Worte klingen nun sehr nüchtern, ganz so, als sei es mit dem persönlichen israelischen Honeymoon nun vorüber, wenn selbst die israelische Linke mit ihrer Naivität nur enttäuscht und nur die religiös Eifernden Bestand haben und man sich fragen muss, wie lange noch – nicht bis der Messias endlich kommt, sondern bis ein neuer Weltkrieg ausgelöst wird.
Ich wiederhole nur das Gesagte. Diese Situation ist deprimierend.