Gestern sah ich in der Cinematheque in Tel Aviv einen berührenden deutschen Film: „Das schweigende Klassenzimmer“. Er erzählt die wahre Geschichte einer Abiturientenklasse in der DDR in Stalinstadt (Eisenhüttenstadt) im Jahre 1956. In Solidarität mit dem Ungarn-Aufstand, entscheidet sich die Mehrheit der Klasse zwei Schweigeminuten einzulegen. Was folgt ist ein Blick in den Abgrund des Totalitarismus: Wie das System versucht, die „Konterrevolutionäre“ fertig zu machen. Die Klasse wird geschlossen suspendiert, niemand darf in der DDR Abitur machen. Bis auf vier Schüler, gehen alle in den Westen und machen dort das Abitur. Und bleiben dort.
DDR, Nazi-Vergangenheit, reaktionäre Erziehung
In Tel Aviv zu sitzen und einen deutschen Film – auf Deutsch natürlich – über das DDR-Regime (aber auch über die Nazi-Vergangenheit in den Familien) zu sehen, ist eine immer wieder eigenartige Erfahrung. Alles ist vertraut, die Sprache zu allererst natürlich, aber auch die Geschichte, die Kleidung, die Autos, der RIAS, den die DDR-Schüler bei einem älteren Mann namens Edgar hören können. Vertraut ist auch diese tumbe düstere Zeit der 50er Jahre, in die ich hineingeboren wurde, wenngleich im Westen. Doch das Graue, das immer noch Reaktionäre, das war auch in Westdeutschland präsent, die Ausläufer der Nazi-Zeit, die Stimmung, das Verdrängen, die reaktionäre Erziehung meiner deutschen, nichtjüdischen Freunde, die bis in die heutige Zeit nachwirkt.
Auf dem Weg in solch ein System
Ich war mit einer israelischen Freundin im Kino, die von dem Film ebenso beeindruckt war wie ich. Wir gingen noch etwas trinken und sie fragte mich über jene Zeit aus, über die „Republikflucht“, über den Mauerbau. Und sie sagte schließlich: „Ich könnte in so einem totalitärem Überwachungssystem nicht leben“. Ich schaute sie an: „Woher wissen wir, daß wir uns nicht auf dem Weg in solch ein System befinden? Ist es nicht viel wichtiger aufzupassen, daß wir gar nicht erst in sowas hineingeraten? Die Gefahr ist doch da. Hier und jetzt. In Israel, in Europa, in den USA.“ Sie schaute mich an: „Hör auf, hör auf, ich habe keine Lust über israelische Politik zu reden, es ist doch alles nur schrecklich!“.
Aber ist das nicht ein Teil des Problems? Ich habe bei Fania Oz, der Tochter des geraden gestorbenen Amos Oz einen Satz gelesen: „Demokratien gehen nicht unter wegen einiger aktiver Fanatiker, sondern wegen vieler fauler Moderaten.“ Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dieser Satz nicht von Amos Oz selbst stammt. In seinem Sinne ist er ganz bestimmt.
Hoffnung
Eine Schweizer Bekannte, die sich gerade im Urlaub in Thailand befindet, schrieb mir auf meinen Beitrag gestern, ich solle Hoffnung verbreiten, nicht Pessimismus. Sie bezog sich darauf, daß ich schrieb, mit Amos Oz sei die Seele der Friedensbewegung gestorben. Auch wenn ich diesen Satz natürlich auch heute so unterschreibe, so hat sie doch Recht: man muß Hoffnung verbreiten. Die aber können wir nur alle gemeinsam kreieren. In dem wir nicht zu den faulen Moderaten gehören, sondern aktiv werden.
Das klingt jetzt wirklich nach dem „Wort zum Jahresende“, nicht wahr? Aber angesichts der schrecklichen Prognosen, die etwa das Sonderheft „Economist“ zu „2019“ liefert, kann man nur hoffen, daß wir alles tun werden, um die Dinge nicht ganz so schlimm werden zu lassen, wie sie werden könnten…
Ein Gedanke zu „Das schweigende Klassenzimmer“
Shalom Herrn Schneider, in Ihrem Bericht sind 4 Ansichten beschrieben, die so gut in unsere Situation passen. Der Film über das totalitäre System, die Freundin , welche nicht über Politik diskutieren möchte, weil es sie belastet, Amos Oz Tochter mit einem so treffenden Satz, und die Schweizer Freundin welche doch noch an Hoffnung glaubt…..was absolut richtig ist! Ich hoffe wir alle werden nicht zu faulen Moderaten, und sind im 2019 mutiger !! herzliche Grüsse u Danke