Wie Sie sicher schon erfahren haben, ist Claude Lanzmann gestorben, der Regisseur und Autor der bahnbrechenden 9-stündigen Dokumentarserie »Shoah«.
Ich bin Lanzmann zweieinhalb Mal begegnet. Das erste Mal in München. Er stellte einen neuen Film über die israelische Armee vor, der schlicht enttäuschend war. Viel Pathos, nicht mehr mit der sachlichen und darum auch unbestechlichen Distanz, die er bei »Shoah« anwandte, um die Erinnerung an den Massenmord glasklar festzuhalten, wohlgemerkt: Die Erinnerung, nicht die Shoah selbst.
Schumann’s
Nach der Veranstaltung landeten wir mit mehreren Leuten im Schumann’s, im alten Schumann’s, dem Original, das eine so ganz andere Atmosphäre hatte als das neue Schumann’s am Hofgarten. Lanzmann trank viel, sehr viel. War spritzig, aber auch ungemein aggressiv gegenüber allem und jeden. Und: er hatte sich eine junge Frau auserkoren, die er erobern wollte. Er ging mit einer Offenheit auf sie zu und los, die atemberaubend war. Vor allem: er scherte sich um nichts. Daß andere drumrumsaßen und alles mitanhören konnten, war ihm egal. Er wollte diese Frau, also konzentrierte er sich auf sie und nichts war mehr wichtig. In seiner Direktheit war er beinahe brutal. Aber er achtete auf körperliche Distanz. Er fasste sie nicht an, keine anzügliche Bewegung, nichts, kein »beiläufiges« Tätscheln eines Arms oder Beins. Nur verbal war er direkt und hoffte ans Ziel zu kommen.
Nur als Charles plötzlich zu uns stieß (Für Nicht-Münchner: Charles ist Schumann), da ließ Lanzmann von der Frau ab und begann sich auf Französisch mit Charles über alles Mögliche zu unterhalten, vor allem über’s Boxen und Literatur. Doch kaum war Charles wieder verschwunden, setzte Lanzmann erneut an. Ob er am Ende erfolgreich war? Keine Ahnung, ich verließ irgendwann nach 2 Uhr morgens die Runde, die weiter sitzen blieb.
In Paris
Das zweite Mal traf ich ihn für ein Interview zu meiner Dokumentation »Mythen der Nationen« (2 x 45 min für die ARD) Anfang der 2000er in seinem Büro in Paris. Und wieder war er extrem aggressiv, direkt, anfänglich auch ein wenig unausstehlich … Aber seine Analyse des Umgangs der französischen Gesellschaft mit ihrer Vichy-Vergangenheit war sensationell. Klar, präzise, schonungslos und sehr klug. Am Ende des Interviews war er für seine Verhältnisse »weich«. Und fragte mich, ob es sein kann, daß er mich kenne. Ich sagte ihm, daß wir uns mal vor Jahren in München kennengelernt hatten, aber daß ich sicher sei, daß er keine Ahnung mehr habe. Doch dann sagte er verschmitzt: »Schumann’s!« Ich lachte und bejahte. Und dann sagte er noch: »Was war sie hinreißend diese Frau!«
Angelika Schrobsdorff
Das »halbte Mal« traf ich ihn auf Umwegen. In Jerusalem. Ich besuchte Angelika Schrobsdorff, die deutschsprachige Schriftstellerin, die mit ihm verheiratet gewesen war. Sie war eine sehr kapriziöse und anstrengende Person, die ebenfalls sehr schroff sein konnte. Ich sprach sie auf Lanzmann an — und bekam nur eine Abweisung. Und dann begann sie zu schimpfen. Auf ihn. Aber dann sprach sie von ihm als einen wunderbaren Mann und Freund. Und dann meinte sie noch, daß mich das gar nichts anginge, um mir dann wiederum zu sagen, daß sie mit ihrem Ex-Mann »bis heute« noch Kontakt habe. Es war einigermaßen verwirrend, doch Freunde, die sie kannten, hatten mich ja vorgewarnt, daß sie schwierig sei.
Und so denke ich seit gestern an diese Begegnungen. Ich erlebte kluge Menschen mit unglaublich anstrengenden Biographien, die sie zu keinen »angenehmen Zeitgenossen« machten, denen ich aber alles Recht zugestand, »schwierig« zu sein. Die jüdische Generation der Überlebenden hat bei mir immerzu einen gewissen Freibrief. Was wissen wir Nachgeborenen schon darüber, was sie erlebten und durchgemacht hatten, auch wenn im Falle dieser beiden die Kriegszeit vielleicht etwas weniger tragisch verlief als für diejenigen, die in Auschwitz und anderen KZ einsaßen. Doch solche Vergleiche hinken immer. Das Erleben des Einzelnen zählt.
Nun ist wieder ein Zeitzeuge gegangen. Aber »Shoah« wird bleiben. Und die Bücher von Angelika Schrobsdorff auch, selbst wenn sie in Deutschland bereits vergessen ist.
Richard C. Schneider, Tel Aviv
3 Gedanken zu „Claude Lanzmann“
meine stärkste Erinnerung in SHOAH war, wie ein Pole auf einer anderen Strassenseite dem Kameramann zeigt, was mit den Juden passiert war. Er fährt mit dem Daumen quer über seinen Hals-
Ich hoffe, dass Angelika Schrobsdorff in Deutschland nicht vergessen ist! Einige Bücher von ihr habe ich nicht nur im Regal stehen, sondern auch gelesen.
Angelika Schrobsdorff ist nicht vergessen, es ist gerade eine Biografie 2017 erschienen: „Angelika Schrobsdorff – Leben ohne Heimat“, im be.bra verlag Berlin, von Rengha Rodewill. Das Buch ist zum 90. Geburtstagn für die Schrifstellerin, ein Erinnerungsbuch. Es sind wunderbare alte Fotografien aus dem Nachlass zu sehen, u.a. auch mit Claude Lanzmann, die Hochzeit in Jerusalem. Außerdem viele unveröffentlichte Fotos, Briefe und die letzten Aufzeichnungen von Angelika Schrobsdorff, als sie schon in Berlin lebte. Die Beerdigung von Angelika Schrobsdorff auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee ist auch zu sehen, Claude Lanzmann war auch anwesend. Das Buch hat mich sehr berührt, es ist eine wunderbare Erinnerung an Angelika Schrobsdorff und an ihre Bücher.