Jetzt gibt es ihn also und er hat einen Namen, der neue Antisemitismus-Beauftragte. Dass es ihn plötzlich braucht, zeigt, daß sich etwas verändert hat in Deutschland. Daß viele in Deutschland nun gerne mit dem Finger auf die »Flüchtlinge«, die »Muslime« zeigen und erklären, die Bundesregierung habe doch die Antisemiten ins Land geholt (so zu lesen – nur ein kleines Beispiel – in vielen Reaktionen auf das Tweet von Heiko Maas zum Antisemitismus-Beauftragten, daß also viele lieber auf andere zeigen als auf sich selbst, ist klar. Es ist so leicht, den Antisemitismus »auszulagern«, die neu hinzugekommenen Flüchtlinge allein und pauschal für den Antisemitismus in Deutschland verantwortlich zu machen.
Als ob es ihn vorher nicht gegeben hätte, als ob es nicht weiterhin Antisemitismus bei den deutschen Rechtspopulisten und -extremisten gäbe oder bei den deutschen Linksextremisten, dort dann als »Antizionismus« getarnt. Natürlich ist das kein rein deutsches Phänomen, sondern ein gesamteuropäisches, Herr Orbán hat’s uns ja gerade vorgemacht.
Und natürlich gibt es den »ganz normalen Antisemitismus« in der Mitte der Gesellschaft. Der, der sich wieder zu äußern traut, nachdem man so an die 70 Jahre schweigen »musste« wg. Auschwitz.
Was bringt ein Antisemitismus-Beauftragter?
Nur: Was kann so ein »Antisemitismus«-Beauftragter bringen, was deutsche Gesetze nicht imstande sind zu tun? Daß man nun so einen Beauftragten einsetzt, ist ein implizites Eingeständnis, daß man als Gesamtgesellschaft ganz offensichtlich versagt hat. Und gleich geht die Frage noch weiter: Wird es nun auch bald einen Beauftragten für »Schwulenhass« oder für »Islamophobie« geben? Was schafft der Staat hier eigentlich nicht? Was genau soll der Antisemitismus-Beauftragte denn machen? Definieren, was Antisemitismus ist? Vorfälle sammeln? Strategien gegen den Antisemitismus entwickeln? Die Koordination der zuständigen Behörden in Deutschland verbessern? Heißt das also, daß es all das vorher nicht gab? Oder, daß es nicht funktionierte? Offensichtlich. Denn sonst wäre die Schaffung eines solchen Amtes nicht notwendig. Und hier stellt sich die Frage an die Politiker der Gegenwart und der Vergangenheit in Deutschland, wo sie beim Antisemitismus einfach nur salbungvolle Gemeinplätze von sich gegeben hatten, wenn das so notwendig war, aber de facto das Problem eventuell nicht ernst genug genommen haben?
Juden wissen, wie problematisch die Lage in Deutschland geworden ist. Schon lange. Die Politik wußte dies nicht? Die Polizei, die Behörden, die Verfassungsschützer wußten das nicht? Sie brauchen jetzt alle einen Antisemitismus-Beauftragten, der ihnen das klar macht?
Eine Bankrott-Erklärung?
Im Grunde ist die Schaffung eines solchen Amtes eine gewisse Bankrott-Erklärung des Staates. Eigentlich sind alle Mittel vorhanden, um gegen Rassismus und Antisemitismus zu kämpfen. Aber irgendwas ist schief gegangen, also braucht man jetzt Felix Klein – so heißt der neue Antisemitismus-Beauftragte. Man muß ihm Glück wünschen für sein Amt. Man muß hoffen, daß er sich Gehör verschaffen wird – bei den Politikern, den Behörden und der Bevölkerung.
Aber warum zweifle ich nur, daß er wirklich etwas verändern wird können … Irgendwie bin ich da leider skeptisch. Denn was in den Köpfen der Menschen vorgeht, das ist nur langfristig – wenn überhaupt – zu verändern. Und das hat nichts mit Pflichtbesuchen in ehemaligen Konzentrationslagern zu tun. Da geht es um etwas Fundamentales, was in den Schulen kaum wirklich in den Fokus des Unterrichts rückt: Demokratie-Bildung, im wahrsten Sinne des Wortes. Man müßte viel mehr zur Demokratie erziehen, klarmachen, was Demokratie wirklich bedeutet, eben nicht nur »freie Wahlen« (siehe z.B. jüngst Ungarn). Das aber ist ein Langzeit-Projekt, für das man viel, wirklich viel Geld braucht.
Ein Abend mit Franz Müntefering
Vor einigen Jahren saß ich bei einem Abendessen mit Franz Müntefering zusammen. Er sorgte sich sehr um die Demokratie. Er verwies auf dem Umstand, daß mit der Gründung der Bundesrepublik »Demokratie« immer einherging mit »Wohlstand«, daß beide Worte fast so etwas wie Synonyme waren. Und was wird nun geschehen, fragte Müntefering in unserer kleinen Runde, wenn der Wohlstand verschwindet? Was werden die Menschen dann wählen? Wohlstand oder Demokratie?
Dieser so einfache wie klare Zusammenhang machte mich nachdenklich, sehr nachdenklich. Denn in der Zeit begann der »Arabische Frühling« und die Proteste auf dem Kairoer Tachrir-Platz wurden im Westen als Wunsch nach Demokratie gesehen. Doch davon war ich nicht ganz überzeugt. Natürlich gab es Protestierende, die von Demokratie träumten. Aber sie träumten, meines Erachtens, noch mehr von Freiheit und Wohlstand, nach einem Leben, wie der Westen ihnen dies in zig Fernsehserien und Spielfilmen vorführte. »Freiheit« bedeutet aber nicht unbedingt »Demokratie«, sondern es kann auch einfach nur bedeuten, daß man kommen und gehen kann, wie man will, daß man seine beruflichen und privaten Träume verfolgen und verwirklichen kann – und trotzdem gegenüber einem Regime die Klappe halten muß (siehe z.B. in China).
Mich läßt dieser Abend mit Franz Müntefering nicht mehr los. Und auch heute denke ich an ihn, an diesem Tag, an dem es nun in Deutschland einen Antisemitismusbeauftragten gibt.
Ach ja: Hat da nicht gerade ein Rapper mit einem antisemitischen Text den »Echo« gewonnen?
Na, dann: Viel Glück Felix Klein für ihren schwierigen Job!
Ein Gedanke zu „Ein Antisemitismus-Beauftragter für Deutschland“
Hallo,
ich stimme den Ausführungen nahezu vollständig zu. Die Schaffung dieses Amtes sehe ich auch als politischen Akt, der Antisemitismus in Deutschland ist nicht ausschließlich eine Konsequenz aus der Flüchtlingsbewegung der letzten Jahre, man kann aber wunderbar Schuld „outsourcen“.
Besonders spannend finde ich die Anekdote zum Vergleich zwischen Demokratie und Wohlstand, auch dafür danke.
Zur letzten Anmerkung:
„Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet / mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“
Sollte es um diese Zeilen gehen, so muss ich sagen, dass ich dort keinen Antisemitismus sehe. Natürlich, der Vergleich ist völlig unangemessen und lässt jegliches Feingefühl missen. Man sollte diese Person auch mit einem Überlebenden konfrontieren. Daraus Antisemitismus zu machen ist aber in meinen Augen nicht richtig. Derartige Aussagen sind für mich eher eine Konsequenz der (wie Sie schon erwähnten) Demokratiebildung, welche sehr früh (und in breitem, nicht nur jüdisch kontextualisiertem Umfang, wie z.B. Minderheitenschutz) in Bildungseinrichtungen stattfinden muss.
Mich würde mal das historische Wissen der Rapper interessieren. Ich glaube nicht, dass da viel zu holen ist und dies letztlich eine reine Provokation nach letztlich ökonomischem Regelwerk ist.