Deutschland ist einer der engsten Partner Israels, doch die Verstimmungen nehmen zu. Für seine politischen Ziele legt Benjamin Netanjahu auf die Europäer keinen Wert.
Angela Merkel und Benjamin Netanyahu – Ein gestörtes Verhältnis?
Anders als mittlerweile in Deutschland erfreut sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in Israel nach wie vor großer Beliebtheit. Ihre Rede in der Knesset zum 60. Jahrestag des Staates Israel, in der sie erklärte, die Sicherheit des jüdischen Staates gehöre zur »Staatsräson« der Bundesrepublik, ist unvergessen und wird in Israel sehr ernst genommen, wenngleich niemand erwartet, dass die Bundeswehr jemals deutsche Soldaten nach Israel schicken würde, um das Land zu schützen.
Was die meisten Israelis im Laufe der Jahre allerdings nicht mitbekommen haben, ist, dass das deutsch-israelische Verhältnis Risse bekommen hat. Man könnte sogar sagen: Das Verhältnis zwischen Merkel und Israels Premier Benjamin Netanjahu ist gestört. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Verstimmungen zwischen Deutschland und Israel. Das Durchstechen von Informationen über geheime Telefonate zwischen Netanjahu und Merkel an die israelische Presse gehört ebenso dazu wie inzwischen eine immer deutlicher werdende Differenz in der Einschätzung der politischen Lage – und der politischen Vorgehensweisen.
Israels Palästinenserpolitik wird in Deutschland kritisch gesehen, selbst wenn man sich inzwischen eingesteht, dass in der aktuellen Situation, mit der Führungsschwäche auf der palästinensischen Seite, an einen »Friedensprozess« nicht gedacht werden kann. Doch das lässt die deutsche Regierung inzwischen nicht mehr zögern, »unverhältnismäßige Gewalt«, die Israel beispielsweise an der Grenze zu Gaza gezeigt habe, zu kritisieren.
Der größte Zankapfel zwischen Merkel und Netanjahu aber ist der Umgang mit dem Iran. Während Netanjahu überglücklich ist, dass US-Präsident Donald Trump den bad deal mit den Mullahs aufgekündigt hat, sind Deutschland und die EU entsetzt und versuchen, das Abkommen irgendwie zu retten.
Netanjahus Politik ist auf Trump ausgerichtet
Was kann also angesichts der aktuellen Spannungen von dem Treffen zwischen Netanjahu und Merkel erwartet werden? Gewiss wird Israels Premier auf die Iran-Politik zu sprechen kommen. Natürlich weiß »Bibi«, wie Netanjahu in Israel genannt wird, dass er die Kanzlerin nicht auf seine Linie einschwören kann, selbst wenn inzwischen Berichte des deutschen Verfassungsschutzes vorliegen, denen zufolge der Iran trotz des Atomabkommens versucht habe, Material zu erwerben, das für den Bau von Atomsprengköpfen und Trägerraketen verwandt werden kann. Dazu sind Deutschlands Hightech-Firmen für Teheran besonders interessant.
Für Netanjahu dürfte das – neben den Atomunterlagen, die der Mossad unter den Augen der Mullahs aus Teheran nach Tel Aviv gebracht hat – ein weiterer Beweis sein, dass das Abkommen nichts wert sei.
Gewiss wird Netanjahu versuchen, der Kanzlerin seine Sicht auf die aktuelle Entwicklung dazulegen, und einmal mehr darauf verweisen, dass die Ausbreitung des Iran in Syrien, die massive finanzielle Unterstützung von Milizen im Jemen oder der Hisbollah im Libanon sowie der Aufbau einer neuen irantreuen Miliz in Syrien eine unmittelbare Konsequenz des Atomdeals ist, das weder das Problem der Raketenentwicklung noch die Konsequenzen der Freigabe eingefrorener Konten berücksichtigt hat.
Doch Netanjahu ist nicht naiv. Er weiß, dass sich Merkel nicht bewegen wird. Und es interessiert ihn im Grunde auch nicht wirklich. Längst hat er seine ganze Politik auf Donald Trump ausgerichtet, seine ideologischen Freunde in Europa sind, ausgerechnet, die Machthaber der Visegrádstaaten, deren antiislamische Politik für ihn wichtiger ist als die Tatsache, dass insbesondere in Polen und Ungarn die jeweiligen Regierungen zugleich eine durchaus antisemitische Politik betreiben. Diese Verschiebung israelischer Interessen und »Zuneigungen« dürfte ein weiteres Problem bei der Verständigung zwischen Merkel und Netanjahu mit sich bringen.
Netanjahu geht es um israelische, nicht allgemeinjüdische Interessen
Israels Premier wird auch auf den Antisemitismus in Europa und in Deutschland zu sprechen kommen. Und natürlich wird die Kanzlerin ihm diesbezüglich ehrlich zusichern, dass die Bundesregierung alles tue, um die Juden im Lande zu schützen, ja, dass man nun sogar einen »Antisemitismusbeauftragten« habe. Das allein sei doch ein Zeichen dafür, dass die Bundesregierung versuche, das Problem einzudämmen. Die Kanzlerin ist diesbezüglich über jeden Zweifel erhaben.
Doch die Wahrheit dürfte sein, dass auch das Netanjahu nicht sonderlich wichtig ist. Unter seiner Führung hat die israelische Politik eine Veränderung gegenüber den Juden in der Diaspora erlebt. Bibi agiert nach Interessen, nicht nach der Frage, wie antisemitisch die jeweiligen Regierungen sind, mit denen er zusammenarbeitet. Ihm geht es um israelische, nicht allgemeinjüdische Interessen. Ähnliches kann seit einigen Jahren auch gegenüber den US-amerikanischen Juden beobachtet werden.
Ein größeres Problembewusstsein für die iranische Gefahr
Längst verlässt sich Netanjahu lieber auf die rund 50 Millionen Evangelikalen in den USA, die mehr oder weniger bedingungslos zu Israel stehen. Anders als die rund sechs Millionen US-Juden, von denen rund 70 Prozent den verhassten Barack Obama gewählt haben, die auch in Zukunft demokratisch wählen werden und mit Israels Politik ganz und gar nicht mehr einverstanden sind. Bibi benutzt die Juden im Ausland nach Bedarf, aber sie sind ihm nicht wichtig.
Natürlich wird es immer Lippenbekenntnisse geben, aber Netanjahu hat ganz andere Sorgen als den Antisemitismus in Europa. Womit wir wieder beim Iran sind. Was kann Netanjahu in Berlin erreichen? Oder was wird er von Merkel erwarten und was kann sie tun? Da Deutschland nach wie vor grundsätzlich ein treuer Freund Israels ist, vielleicht der bedeutendste in der EU, wird Netanjahu sicher schon froh sein, wenn es ihm gelänge, Merkel ein größeres »Problembewusstsein« für die iranische Gefahr, der sich Israel ausgesetzt sieht, zu vermitteln. Die Bedrohung aus Syrien, die 120.000 Raketen der Hisbollah im Libanon, die jeden Ort in Israel erreichen können – das sind keine Hirngespinste Bibis, sondern reale Probleme, die früher oder später zu einem Krieg größten Ausmaßes führen könnten. Wenn Merkel also innerhalb der EU zumindest für ein gewisses Verständnis für Israels Position werben würde, wäre das schon viel.
Europa spielt keine Rolle mehr
Und die Palästinenser? Merkel wird dem Israeli ins Gewissen reden, weniger »Härte« anzuwenden, die Menschenrechte zu achten. Netanjahu wird es hören – und darauf hinweisen, dass Israel unter keinen Umständen ein Überrennen des Grenzzauns von Palästinensern aus Gaza zulassen wird, zulassen kann. Wenn der Plan der Hamas aufgehen würde, dass früher oder später Hunderte, ja Tausende Palästinenser nach Israel eindringen, dann erst würde es zu einem wirklichen Blutbad kommen. So weit will man es gar nicht erst kommen lassen. Was kann und wird die Kanzlerin dem entgegensetzen? Entgegensetzen können?
Das Treffen dürfte außer der gemeinsamen Einsicht, dass man in vielen Punkten unterschiedlicher Meinung ist, nichts Überraschendes vorzuweisen haben. Denn abgesehen von den genannten Dissonanzen funktioniert die deutsch-israelische Freundschaft ja bestens. Man arbeitet auf vielen Ebenen eng zusammen, der Wirtschafts- und Kulturaustausch blüht, Israel bekommt von Deutschland die überlebensnotwendigen U-Boote, die für einen sogenannten Zweitschlag tauglich sind, Deutschland bekommt israelisches Hightech-Knowhow, die Geheimdienste arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen. Es ist also durchaus ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Daran wird sich trotz allem nichts ändern.
Merkel wird aufpassen, zumindest öffentlich den Israelis nicht allzu sehr entgegenzukommen, sie könnte das der deutschen Bevölkerung, die zunehmend Israel gegenüber negativ eingestellt ist, nicht erklären. Bibi wird damit leben können. Hauptsache, er und sein Kumpel Donald gehen Hand in Hand auf dasselbe Ziel zu: den Iran irgendwie in die Knie zu zwingen. Dabei spielt Europa keine Rolle mehr.
Richard C. Schneider, Tel Aviv
Dieser Beitrag erschien erstmals auf Zeit Online am 4. Juni 2018.
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