Was mir in Zürich immer wieder auffällt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der orthodoxe Juden sich in der Stadt bewegen. Mit Kippa und Schaufäden, mit Kaftan, mit Hut oder Stramel, sie sind einfach ein ganz normaler Teil des Stadtbildes, vor allem in den Bezirken, in denen sie leben. Nun ist es ja nicht so, daß es in der Schweiz keinen Antisemitismus gäbe, so „neutral“ sind die Eidgenossen denn auch nicht. Aber nichtstdesotrotz ist es einfach nichts Besonderes, wenn ein als orthodoxer Jude kenntlicher Mensch in der Stadt herumläuft. Das ist in vielen Teilen Europas nicht mehr möglich, auch nicht in Deutschland, wo der Zentralrat der Juden nicht zu Unrecht davor gewarnt hat, mit Kippa auf der Straße zu gehen. Ja, in Zürich ist es tatsächlich so, anders als in Deutschland, daß auch niemand einen Orthodoxen anstarrt. Das ist so ein Stück „Normalität“, das es in Deutschland nie gegeben hat und nie geben wird.
Als ich vor ein paar Tagen im Café Sprüngli war, saß am Nebentisch ein älteres Paar, er mit einer schwarzen Kippa. Nichts und niemand „kümmerte“ sich um die beiden. Sie waren genauso normale Gäste wie alle anderen auch. Ich saß per Zufall am Nebentisch und als ich einen Anruf nach Tel Aviv tätigte und dann Hebräisch sprach, schauten auch sie nicht zu mir herüber, es war eben auch für sie – die sich in Schweizerdeutsch miteinander unterhielten – ganz normal, daß da jemand auch mal Hebräisch spricht. So kenne ich das nur aus New York – wobei ich New York nun wahrlich nicht mit Zürich vergleichen will. Im Big Apple ist es nochmal etwas ganz anderes jüdisch zu sein als in „Züri“.
Zürcher Freunde erzählten mir, daß ihr Enkelsohn, der in den Niederlanden lebt und fromm ist, also Kippa trägt, demnächst in die Schweiz ziehen wird, denn es sei mittlerweile lebensgefährlich in Amsterdam als Jude erkennbar zu sein. Die Zeit für Juden sei (auch) dort vorbei.
Ich mußte an die Frommen in Israel denken und an den Satz, den eine säkulare, ja, anti-religiöse Holocaust-Überlebende mal gesagt hatte: „Ich mag die Frommen nicht, aus politischen und aus atheistischen Gründen. Aber wo sonst sollten sie frei leben und so leben können, wie sie wollen, wenn nicht in Israel? Dieses Recht würde ich immer verteidigen, auch wenn ich sie politisch immer bekämpfen werde.“
Was einem so im Europa von heute alles durch den Kopf geht…
2 Gedanken zu „Zürich – Amsterdam“
Heisst der Schtreimel in der Schweiz Stramel?
Ja, die Schweizer sind schon ein ganz besonderes Völkchen. Auf den ersten Blick sehr freundlich, aber auch ähnlich oberflächlich wie die Amerikaner. Ich habe selbst viele Jahr in der Schweiz gearbeitet. Eine peruanische Kollegin, die mit einem Schweizer verheiratet war, beklagte sich bei mir, dass sich die Schweizer nur übers Wetter unterhalten, während sie sich mit ihren Landleuten über alles unterhalten kann. Dazu sind sie noch echte Putzteufel. Sicher nur zu übertreffen durch die Stuttgarter. 😉 Kennen Sie den Film die Schweizermacher mit Emil Steinberger? Zugegeben, inzwischen ein echter Klassiker, trifft den Kern aber wohl immer noch. Wir haben damals auch überlegt, ob wir in die Schweiz ziehen sollen, aber nachdem ich das Buch „Gebrauchsanleitung für die Schweiz“ von Thomas Küng gelesen hatte, haben wir uns dann doch dazu entschieden in Deutschland zu wohnen und von dort aus zu pendeln. In dem Konzern, in dem ich gearbeitet habe verstand ich mich am besten mit all den Leuten aus den anderen Ländern, wie Indien, England, Deutschland, Frankreich, Italien, etc. Nur mit den Schweizern bin ich nie so recht warm geworden. Wo es mir allerdings in der Schweiz immer sehr gut gefallen hat, war der Lago Maggiore und dort auch Locarno. (Meine Eltern hatten früher auf der italienischen Seite ein Ferienhaus, so dass der See quasi zu meiner zweiten Heimat wurde). Erich Fromm hat in Locarno übrigens seine Lebensabend verbracht. Er hat durch seine Bücher mein Interesse am Zen Buddhismus geweckt. Damit verdanke ich ihm so manches in meinem Leben….