In der Ukraine wurde gewählt. Ein jüdischer Präsident. Es gibt schon einen jüdischen Premier, jetzt also auch einen jüdischen Präsidenten. Ist das gut oder schlecht für die Juden? So wurde in früheren Zeiten, als Juden noch machtlos waren, gefragt: ist es gut oder schlecht für die Juden? Müssen wir wieder fliehen, weil es ein neue Schikanen, ein Autodafé, ein Pogrom, ein Vernichtungslager gibt?
Israel und die Ukraine: Die beiden einzigen Länder
Dieser Blick auf die Politik sitzt tief. 2000 Jahre Verfolgungsgeschichte sind nicht so ohne weiteres abzuschütteln, trotz eines jüdischen Staates, trotz einer selbstwußten US-jüdischen Gemeinschaft. Nun also: die Ukraine. Neben Israel ist nun ausgerechnet die Ukraine das einzige Land, in dem es eben einen jüdischen Premier und einen jüdischen Präsidenten gibt. Irgendwie ein Witz. Denn die Ukraine war stets ein Hort allerübelsten Antisemitismus‘. Als ich vor einigen Jahren dort war für eine Reportage, da konnte ich den Antisemitismus mit eigenen Augen sehen, in Uman und anderswo.
Alles gut für die Juden. Nicht in Litauen
Ist jetzt also ein Wunder geschehen? Haben die Ukrainer tatsächlich ihren Antisemitismus überwunden? Nun, das wage ich ein wenig zu bezweifeln. Vielleicht war es aber einfach so, daß er keine Rolle spielte bei den Wahlen, weil man das alte System weghaben wollte. Und da der neue Premier sein Judentum auch nicht zu einer großen Sache macht…. nun…. so ist das offensichtlich für den Moment nicht wichtig.
Doch während in der Ukraine erst mal alles „gut für die Juden“ zu sein scheint, so hat in der litauischen Presse, wie mir ein Freund erzählte, die Tatsache, daß sich die Nachbarn einen Juden zum Präsidenten gewählt haben, bereits für „entsprechende“ Kommentare gesorgt.
Das Ghetto nicht verlassen
Und interessant ist, daß viele jüdische Bekannte in Europa gleich reagierten: „Oje, das auch noch. Na… wenn das mal gut geht.“ Denn was fast automatisch befürchtet wird ist, daß das „Jude-Sein“ doch zum Thema wird, falls der neue Präsident sich als Flop erweisen sollte. Und ist nicht einer seiner Finanziers ein jüdischer Oligarch? Ja, das auch noch. Also wird mal wieder gezittert bei den Juden in Europa, die das Ghetto innerlich noch lange nicht verlassen haben.
Dabei sollte es doch so einfach sein. Aber was ist in diesen Zeiten noch einfach. Und so bleibt die Frage: „Ist es gut oder schlecht für die Juden?“ für den Moment unbeantwortet. Ebenso, ob es gut oder schlecht ist für die Ukraine. Der neue Präsident, bar jeglicher politischer Erfahrung, tritt ein extrem schwieriges Amt an. Da spielt es keine Rolle, ob er Jude ist oder nicht. Zumindest erst mal nicht.
2 Gedanken zu „Ukraine – ist es gut oder schlecht für die Juden?“
Ob sich die Schwarzen in Amerika auch solche Gedanken gemacht haben, als Obama Präsident der USA wurde? Klar, konnte er die an ihn gerichteten Erwartungen nicht erfüllen, weil sie einfach zu groß waren. Aber hat man Obama angekreidet, das er Farbiger ist? Mal von ein paar extrem Rechten abgesehen..
Zum Glück sind die meisten internationalen Politiker doch inzwischen so weit, dass es nicht mehr auf die Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit ankommt. Auch gibt es schon rein genetisch keine verschiedenen Rassen des Menschen. So kam etwa Craig Venter nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms zu dem Schluss: „Es gibt mehr Unterschiede zwischen Menschen schwarzer Hautfarbe [selbst] als zwischen Menschen schwarzer und heller Hautfarbe und es gibt mehr Unterschiede zwischen den sogenannten Kaukasiern als zwischen Kaukasiern und Nicht-Kaukasiern.“ Gleiches gilt wohl noch mehr für Angehörige einer Religionsgemeinschaft.
Also warten wir einfach mal ab, was ein Politikneuling in der Ukraine erreichen kann. Die alte Garde hat sich jedenfalls nicht sonderlich mit Ruhm bekleckert…
Ja, auch ich habe mich schon mehrmals gefragt, soll ich mich freuen darüber, oder gibt es über kurz oder lang ein böses Erwachen, und trotzdem erst freue ich mich darüber.