Overload und Eventjournalismus

Nein, ich weiß keine Antwort auf das Problem mit dem Overload und Eventjournalismus. Was ich meine? Wir Journalisten, die Redaktionen von Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen, haben stets einen Kalender mit wichtigen Ereignissen, zu denen wir dann zeitnah die entsprechenden Beiträge liefern müssen. 100 Jahre Erster Weltkrieg 2014 etwa: Ab Januar gab es da endlose Artikel, Berichte, Filme zu dem Thema. Der 25. Jahrestag irgendeines Ereignisses: Alle covern das Thema. Die regelmäßige Wiederkehr bestimmter politischer, sportlicher, kultureller Ereignisse: Schon vor dem eigentlichen Termin gibt es Vorschauen, Rückblicke, Analysen, Prognosen, Chroniken usw.

So funktioniert Journalismus und das ist häufig oder meistens auch richtig und wichtig so.

 

Besinnungsaufsätze

In diesen Tagen aber habe ich ein etwas mulmiges Gefühl. 75 Jahre Auschwitz-Befreiung, 75 Jahre Kriegsende, internationaler Holocaust-Gedenktag – die Feuilletons und politischen Seiten der Zeitungen sind voll von Geschichten von den letzten, den allerletzten Überlebenden, man findet zahlreiche „Besinnungsaufsätze“ (wie man das zu meiner Schulzeit noch nannte), salbungsvolle Artikel, mahnende Artikel, drohende Artikel…. und ebenso Hörfunk- und Fernsehbeiträge.

Über die Qualität all dieser Beiträge mag ich mich hier gar nicht auslassen (vielleicht nur soviel: einen der besten Artikel über die Bedeutung von „Auschwitz“ für die europäische Zukunft und Identität las ich in der NZZ), darum geht es auch gar nicht. Sondern: um diesen Overload an Beiträgen, diese Flut an Beiträgen, die einen jetzt von überall anspringen. Und ab Dienstag, den 28.1., ist es dann wieder vorbei. Aus. Basta. Bis zum nächsten Datum, etwa: 8. Mai. Und später dann am 9. November oder so. Sie wissen schon, was ich meine.

Im Zusammenhang mit diesem Thema, kommt mir das irgendwie banal vor. Wie gesagt: Ich weiß nicht, wie man‘s besser macht, ich kritisiere meinen eigenen Berufsstand überhaupt nicht. Es geht nicht anders. Es muss ja so sein. Man stelle sich vor, eine Redaktion würde sagen: nö, wir machen jetzt nichts zu dem Thema. Da wäre die Hölle los, zurecht.

 

Das ganze Jahr über

Aber dieses „Spot an“ und am Tag danach ist wieder Schluss damit, das ist doch irgendwie bitter. Vor allem: es ist ja jetzt wirklich so, daß die allerletzten Überlebenden uns bald verlassen werden. Man sollte sie nochmal sehr bewußt hören. Nicht nur heute und morgen, sondern das ganze Jahr über…. Ja, ja, ich weiß, es wurden Tausenden Filme, Interviews etc. mit Überlebenden in den letzten Jahrzehnten gemacht, ich selbst habe zig Filme mit Überlebenden gedreht. All das wurde gesammelt und liegt nun in Archiven rum, aus denen man die Zeitzeugenschaft für TV und Rundfunk dann zu den Jahrestagen hervorholt.

Aber wie wäre das, wenn man beispielsweise 2020 jede Woche einen Artikel, einen Beitrag in TV und Hörfunk mit und über einen Überlebenden bringen würde? So daß wir jede Woche, das ganze Jahr lang, von diesen Menschen noch einmal die Zeugenschaft zum größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte hören und lesen können? Nur so eine Idee, die – ich weiß ja – kaum durchzuführen ist. Aber irgendwie schön hätte ich es trotzdem gefunden. Würdig.

 

Legendenbildung

Denn bald sind sie endgültig weg. Und die Historisierung des Holocaust hat schon längst begonnen, die Geschichtsklitterung auch. Und – wie Primo Levi einmal sagte – wahrscheinlich wird irgendwann in der Zukunft die Legendenbildung beginnen, weil sich niemand mehr vorstellen kann, daß das Unfassbare tatsächlich stattgefunden hat.

2 Gedanken zu „Overload und Eventjournalismus

  1. Wie wäre es denn, wenn es im Gegenzug auch im israelischen Fernsehen jede Woche einen Beitrag über einen Palästinenser gäbe, der darüber berichtet, wie er von den Israelis um das Recht auf seinem eigenen Grund und Boden zu leben gebracht wurde.

    1. Und umgehend kommt die Palästinenserkeule. Die Politik der Palästinenser und diverser Nachbarstaaten hat bislang noch nicht dazu beigetragen, die Gefahr vom Staat Israel abzuwenden, ausgelöscht zu werden.

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