Er hat angerufen!

Endlich! Er hat angerufen! Am 17. Februar am frühen Abend war es endlich soweit. Nach einem Monat im Amt, nach einem Monat im Weißen Haus, rief US-Präsident Joe Biden endlich den israelischen Premier Benjamin Netanyahu an! Wow! Twitter überschlug sich. BREAKING NEWS!!!

Er hat angerufen!

Allein die Tatsache, dass so ein banaler Anruf Breaking News-Qualität hat, zeigt, wie problematisch das Verhältnis zwischen Israel und den USA geworden ist. Doch halt – das stimmt nicht. Nicht das Verhältnis zwischen dem Staat Israel und den Vereinigten Staaten von Amerika hat sich verschlechtert, sondern das ganz besondere Verhältnis von Benjamin Netanyahu zur Demokratischen Partei der USA.

Bibi for President

Netanyahu hat noch nie einen großen Hehl daraus gemacht, dass er alles Liberale ablehnt, dass er insbesondere amerikanisch-jüdische Liberale verabscheut. Er hält sie für naiv, für weltfremd, um ein paar freundliche Worte dafür zu finden. Nein, Bibi war schon immer eher ein Mann der Republikaner, und es gab stets Witze, die Republikanische Partei wäre froh, wenn „Bibi“ einer der ihren wäre und sie ihn als Präsidentschaftskandidaten aufstellen könnten.

Mit Füßen getreten

Doch stets galt ein ganz besonderes ungeschriebenes Gesetz: Israel ist ein „bi-partisan issue“, wie das in den USA heißt, eine Angelegenheit, die beiden Parteien gleich wichtig ist. Natürlich mit unterschiedlichen politischen Gewichtungen. Doch dass Israel einer der wichtigsten Bündnispartner Washingtons ist, und der wichtigste Bündnispartner im Nahen Osten, stand – und steht – nie zur Debatte.

Doch Netanyahu hat in den vergangenen Jahren diese „bi-partisanship“ mit Füßen getreten. Das begann bereits während der Amtszeit des Demokratischen Präsidenten Barack Obama. Das Verhältnis der beiden Männer war, nun ja, katastrophal. Sie mochten sich nicht. Aber schlimmer: Bibi gab im Weißen Haus, vor laufenden Kameras (!), dem noch neuen Präsidenten eine „Unterrichststunde“ in Sachen Nahost. Peng. Von da an ging’s bergab. Sei es, dass Bibi ganz offen Mitt Romney als Gegenkandidaten der Republikaner unterstützte, als Obama um seine zweite Amtszeit kämpfte, sei es, dass er hinter dem Rücken des Präsidenten, auf Einladung der Republikaner, im Kongress gegen das JCPOA-Abkommen wetterte; und gar nicht zu reden von seiner Palästinenser-Politik und dem Abbau liberal-demokratischer Prinzipien in Israel. Noch bevor Donald Trump Präsident wurde, hatten die Demokraten eine gehörige Wut auf den israelischen Premier. Und dann wurde es – aus deren Sicht – immer schlimmer. Die „Blutsbrüderschaft“ zwischen Donald und Bibi trieb die Demokraten zur Weißglut. Da war nicht nur die Nahost-Politik Trumps, die diametral der der Demokraten gegenüberstand und die Netanyahu natürlich großartig fand (Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, Anerkennung des Golans als Teil Israels, ein Friedensplan, der den Israelis erlaubt hätte, 30% des Westjordanlands zu annektieren, der Ausstieg aus dem JCPOA-Abkommen, um nur ein paar Beispiele zu nennen), da war vor allem die Kumpelei zweier Populisten, die mit Demokratie scheinbar nicht mehr viel anfangen konnten.

Wohneinheiten in Ostjerusalem

Jetzt also Präsident Joe Biden. Bei seinem letzten Besuch in Jerusalem, 2010, kam es zu einem Eklat. Es galt das Postulat Obamas, dass Israel 10 Monate in den besetzten Gebieten nicht bauen darf (als vertrauenbildende Maßnahme für neue Friedensgespräche mit den Palästinensern). Und am Tag, als Biden und Bibi sich in Jerusalem zum Abendessen treffen wollten, kam die Ankündigung, dass das Bauministerium grünes Licht gab für ein paar hundert neue Wohneinheiten in Ostjerusalem. Wumms! Das Abendessen begann spät. Sehr spät. Denn Joe Biden, damals Obamas Vizepräsident, telefonierte mit Washington. Lange. Was soll man tun? Und Bibi war bemüht zu erklären, dass er davon – tatsächlich – nichts wußte, dass ausgerechnet an diesem Tag das Ok für den Bau kam. Denn das bürokratische Vorgehen bis zur Genehmigung hat mit dem Premier tatsächlich nichts zu tun. Nur die Richtung gibt der Premier vor: Es darf gebaut werden. Aber wann, wie, das verselbständigt sich dann.

Bibi bestand darauf: die heilige, vereinte jüdische Stadt Jerusalem sei nicht „besetztes Gebiet“. Da dürfe immer gebaut werden. Ostjerusalem gehöre zur vereinten „Davidstadt“, da werde gebaut. Immer. Moratorium hin oder her.

Das Abendessen fand statt. Irgendwie ging es dann weiter. Und irgendwann kapierte Obama, dass er mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt keinen Blumentopf gewinnen kann. Er schloss den Vertrag mit den Iranern ab – trotz massiver Proteste Israels – er ließ noch anti-Siedlungs-Resolutionen in der UN gegen Israel durch, ohne dass die USA ihr Veto einlegten. Und dann war Obama weg. Und Bibi immer noch da. Und Donald. Und es folgten für Bibi vier paradiesische Jahre.

Kein Dolchstoß hinterrücks

Und nun Biden. Joe, der alte Kumpel, man kennt sich lange, auch privat. Aber jetzt unter anderen Vorzeichen. Und Joe, der Kumpel, ließ Bibi, den alten Freund, mal ziemlich lange zappeln. Vier Wochen. Ein deutliches Zeichen. Eine Ohrfeige. Eine klare Ansage, dass man „not amused“ ist mit Bibi. Dass man eine andere Politik will. Und nicht mehr alles ok finden wird, was der Premier tun will.

Alle, wirklich alle in der neue Administration hoffen, dass Netanyahu die Wahlen am 23.März verlieren wird. Selbst wenn ein Ultrarechter gewinnen würde, wäre das ok. Nur Bibi soll endlich verschwinden. Dann kann man mit Israel wieder normal arbeiten. Unterschiedliche Anschauungen? Kein Problem. Das ist normal zwischen Staaten. Aber: vertrauensvoller Umgang, Respekt, kein Dolchstoß hinterrücks, keine Tricks, sondern: anständiges, diplomatisches Vorgehen. Damit wäre die Biden-Regierung mehr als zufrieden.

Ein glückliches Lächeln?

Doch es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Netanyahu erneut Premier werden könnte. Und das heißt: Biden, Blinken & Co. werden sich auf viel Ärger mit Jerusalem einstellen müssen. Und Netanyahu, wenn er denn nach dem 23. 3. noch an der Macht sein wird, wird sich darauf einstellen müssen, dass seine Entscheidungen nicht mehr so ohne weiteres goutiert werden in D.C.

Das kann zu heftigen Verwerfungen führen, denn insbesondere wenn es um den Iran geht, wird Netanyahu sehr prinzipiell. Aber Netanyahu weiß, dass er trotzdem in anderen Bereichen nicht viel verändern muss, z.B. in der Palästienserpolitik. Er muss nur den Ton ändern, mehr „säuseln“, dann könnte er wieder durchkommen.

Und was das langfristig für das US-Israel Verhältnis bedeuten wird? Die Basis der Kooperation wird bleiben. Aber die Atmosphäre könnte sich massiv abkühlen. Die Demokraten könnten die Zusammenarbeit auf das Notwendigste reduzieren. Denn inzwischen haben die US-Juden auch längst die Schnauze voll von Netanyahu. Und da sie sowieso immer schon traditionell Demokraten wählen, braucht Biden keine Angst zu haben, die „jüdische Stimme“ zu verlieren.

Bibi hat heute beim Telefonat ein sehr, sehr glückliches Gesicht gemacht: https://twitter.com/LahavHarkov/status/1362140889829761025/photo/1

Ob das ein erleichtertes Lächeln war? Oder nur eins für den offiziellen Fotografen? Wir werden es bald wissen.

4 Gedanken zu „Er hat angerufen!

  1. Ihre aufklärenden Kommentare beigeistern mich. Denn, wie viele Menschen in Deutschland bin ich verwirrt. Fehlende Informationen in Fernsehen, Internet und Presse führen zu Fehleinschätzungen. So entsteht eine Pandemie der Dummheit: ein neuer Antisemitismus. Ja, Netanyahus Politik verdient Kritik. Und Trumps Schachzüge in Nahost verdienen den Friedens-Nobelpreis nicht. Wir Deutschen müssen lernen, genauer hinzusehen. Sie, Richard Chaim Schneider helfen uns dabei. Danke.

  2. Das wäre der „worst case“, wenn Netanjahu tatsächlich nochmal wiedergewählt würde. Die Korruptionsvorwürfe, seine Siedlungspolitik, seine immer sichtbarere Abwendung von demokratischer Politik, die teilweise gewaltsamen Übergriffe auf palästinensische Gebiete führen doch inzwischen dazu, dass sogar innerhalb Israels von einer „Apartheitspolitik“ Israels gesprochen wird, die er zu verantworten hat. Das Problem ist nur: Wo ist die Alternative? Ich liebe Israel und seine Menschen. Nach acht längeren Aufenthalten an verschiedenen Orten sehne ich mich danach, endlich wieder einreisen zu dürfen. Und ich finde es so schade, dass die derzeitige Politik Mühlen auf den Antisemitismus der Menschen ist, die schon immer antijüdisch eingestellt waren.

  3. Völlig d´accord mit Ihrer Analyse. Eine schwierige Hypotheke für das Verhältnis beider Länder.
    Nicht nur in USA wird man erleichtert sein, wenn nach dem 23. März wir Bibi sich von seinem Amt als Ministerpräsidenten verabschieden könnte.

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