Kennen Sie den? Zwei junge Juden in Berlin am Freitag Abend. Sagt der eine:
„Hey, ich weiß von einer ganz tollen Party – wollen wir dahin?“
Der Andere: „Was wird da für Musik gespielt? Hip Hop oder Ska?“
Der Eine: „Nee, Klezmer“
Der Andere: „Ach du liebe Güte, da sind dann nur Goyim dort. Komm lass uns woanders hingehen!“
Diesen Witz habe ich das erste Mal in den 90er Jahren gehört. Als in Deutschland, im wiedervereinigten Deutschland, an allen Ecken und Enden Klezmer-Musikbands entstanden. Natürlich waren die Musiker: nichtjüdische Deutsche. Nichts gegen Klezmermusik, aber was damals für ein Hype entstand, spottete jeder Beschreibung. Wer etwas auf sich hielt und zeigen wollte, daß man „Juden“ super findet, holte sich diese Musik ins Haus. Auf Partys, auf Veranstaltungen, die irgendetwas mit „jüdischen Dingen“ zu tun hatten, ganz egal, ob die Musik nun passte oder nicht.
Klezmer statt Schubert
Im Jahr 2000 wurde meine vierteilige TV-Dokumentation „Wir sind da! Juden in Deutschland nach 1945“ in der ARD ausgestrahlt. Ich erinnere mich gut an die Rohschnitt-Abnahme. Ich hatte für meine Serie als musikalisches Leitmotiv den 2. Satz aus Schuberts Streichquintett in C-Dur gewählt. Deutsche Musik, zutiefst traurig, ans Herz rührend. Das schien mir die passende Musik für diese Serie.
Der erste Teil der Doku beginnt mit dieser Musik. Und sie war noch keine zehn Sekunden gelaufen, da unterbrach einer der beiden verantwortlichen Redakteure und fragte mich entsetzt und erstaunt: „Kein Klezmer??“ Ich verneinte. Er wollte das unbedingt. Es folgte eine absurde Auseinandersetzung, in der ein Jude einem nichtjüdischen Deutschen erklären mußte, warum er bei diesem sehr persönlichen Film – denn er beinhaltete ja auch meine Lebensgeschichte und die meiner Familie – absolut keine Klezmer-Musik wollte. Es blieb schließlich bei Schubert. Zum Glück. Aber die Auseinandersetzung habe ich mein Lebtag nicht vergessen.
„Begegnungsstätten“ – für wen?
Es war die Zeit, in der in ganz Deutschland ein Boom losbrach. In jedem kleinen Dorf renovierte man ehemalige Synagogen, machte daraus „Begegnungsstätten“ – doch wer sollte da wem begegnen? Juden und Nichtjuden? In diesen Orten gab es zumeist keine Juden mehr. Es entstanden in Großstädten jüdische Restaurants „Kosher-Style“ – nur wer ging dorthin? Juden? Nein, Nichtjuden.
Gähnende Leere
Kein Ort war für mich so symbolhaft für diese neu ausgerufene „Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland“ wie die ehemalige Synagoge in der Oranienburgerstraße in Berlin. Sie kennen das Gebäude sicherlich, das mit der wunderschönen goldenen Kuppel, eines der Wahrzeichen des wiedervereinten Berlin. Doch dieses Gebäude, diese „Synagoge“ steht ja nicht mehr. Es steht der vordere Teil, wo unter anderem eine Ausstellung untergebracht ist. Die eigentliche Synagoge, der Raum, wo Juden tatsächlich beteten, existiert nicht mehr. Er ist heute eine freie Fläche unter freiem Himmel. Das also ist sie, diese „Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland“: Vorne ein bißchen Chichi, aber dort, wo jüdisches Leben sein m ü s s t e: gähnende Leere. Eine „jüdische Renaissance“ für Nichtjuden, für Deutsche, die in den Wirren der Wiedervereinigung, in der Suche nach der neuen nationalen Identität, auch „Jüdisches“ brauchten, um zu zeigen, daß man anständig und demokratisch ist und „seine Juden liebt“.
Eine Synagoge für München
Auch in München geschah ähnliches: Die jüdische Gemeinde brauchte dringend neue Räume, sie platzte aus allen Nähten. Der damalige Oberbürgermeister Christian Ude „schenkte“ den Juden den St. Jakobsplatz, mitten in der Stadt, um dort ein neues Gemeindezentrum zu errichten. Aber er bestand darauf, daß dort auch eine neue Synagoge gebaut würde. Wozu? Um zu zeigen, daß München seine Juden wieder in die „Mitte der Gesellschaft“ holt. Doch machte das Sinn? Die Synagogen, die in München existierten, waren überwiegend leer, wozu brauchte man eine Synagoge mitten in München, wo – noch dazu – sie für orthodoxe Juden, die am Schabbat und an den Feiertagen nicht Auto fahren oder öffentliche Verkehrsmitteln benutzen dürfen, wo diese Synagoge also für viele zu weit weg von ihrem Zuhause war? Der „Preis“ für diese Synagoge war der Verkauf eines Platzes mit einem Gedenkstein hinter dem Lenbachhaus. Dort hatte bis zum Juni 1938 die einstige Hauptsynagoge der Jüdischen Gemeinde München gestanden, die von den Nazis abgerissen wurde, als Test für das was kommen sollte: Die „Reichskristallnacht“. Man gab also einen Platz der Erinnerungskultur auf, um eine Synagoge mitten in der Stadt zu finanzieren, die Juden ganz gewiß nicht brauchten – außer die Stadt München selbst. Ignatz Bubis, damals Zentralratspräsident, sagte intern einmal, mal solle dem Bau der Synagoge zustimmen, wenn man dadurch ein neues Gemeindezentrum bekäme. Also auch er wußte, daß dies die „Bedingung“ war, keine Notwendigkeit.
Als ich damals Oberbürgermeister Ude interviewte und ihn fragte, wie er das eigentlich verantworten könne, daß der Gedenkplatz für die ehemalige Synagoge nun für ein großes Warenhaus herhalten würde, antwortete er mir tatsächlich: „Aber auf dieser Wiese sind doch nur noch Penner und da machen doch nur noch Hunde hin!“ Auf meinen Einwurf, dies läge doch in der Verantwortung der Stadt, beschwerte er sich bei meinem Chefredakteur über mich.
„Juden“ als Funktion
Auch im wiedervereinten Deutschland hatten „Juden“ also eine Funktion – im Grunde eine ganz ähnliche wie 1945 in der BRD: Zeigen, daß man aus der Geschichte gelernt hat. Daß man „seine Juden“ mag. Aber wie ging man mit Juden wirklich um? Mehr dazu – beim nächsten Mal
Ein Gedanke zu „Die Funktion der Juden in Deutschland / Teil 2“
Es war in den Siebzigern, als Freunde und ich an einem Tisch in Princess Pamelas berühmten, winzigen Soul Food Restaurant „The Little Kitchen“ in Manhattans East Village Platz nahmen. Wir waren eine Mischung aus New Yorkern und Europäern, Prinzessin Pamela fing etwas von unserer Unterhaltung auf. Das brachte sie dazu, uns zu fragen: „Habe ich Pollacken (sic!) in meinem Restaurant?“ Einige von uns waren tatsächlich Polen, also bestätigten wir ihre Frage. Prinzessin Pamela* fuhr fort, uns zu examinieren: „Sag jetzt blos noch, dass sogar Juden unter euch sind?“ Wir bestätigten erneut ihre Frage, weil mehr als ein Jude unter uns war. Niemand von ihnen fühlte sich aber diskriminiert, niemand fühlte sich durch Antisemitismus herabgewürdigt. Als Deutscher dachte ich, wie glücklich New Yorker doch sind.
* Princess Pamela ist ein Afro-Amerikanerin und war zur damaligen Zeit etwa Ende Vierzig .