Vor einigen Jahre, als ich noch Leiter des ARD Studios in Tel Aviv war, machte ich einige Beiträge zur Einwanderung französischer Juden, die aufgrund des wachsenden Antisemitismus in Frankreich und natürlich auch wegen der zunehmenden Attentate auf Juden, ihr Heimatland verließen. Ich verwies darauf, daß diese Einwanderung politisch rechts steht.
„Arabisch“ geprägt
Das Gros der französischen Juden stammt aus den einstigen Kolonien Frankreichs, aus den Maghreb-Staaten. Insofern sind viele von ihnen „arabisch“ geprägt, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne, d.h., daß sie ihre einstigen arabischen Nachbarn mit großer Skepsis sehen, um es mal vorsichtig zu sagen.
Mit dem Antisemitismus der muslimischen Bevölkerung in Frankreich, mit Attentaten wie in Toulouse oder Paris, von Muslimen gegen Juden ausgeübt, hat sich der Hass auf Araber und Muslime nur verstärkt. Klar, daß diese Neueinwanderer in Israel rechts wählen.
Jetzt eben, zu den Wahlen am kommenden Dienstag, veröffentlichte Haaretz einen Artikel, in dem untersucht wird, wo die rund 600 000 Einwanderer der letzten 20 Jahren politisch stehen. Bei den Franzosen ist das klar rechts, aber auch bei den post-sowjetischen Einwanderern und auch bei den US-amerikanischen „Olim“, wie man Einwanderer auf Hebräisch nennt.
US-Juden: Republikanisch, orthodox
Während bei den Russen, die unter dem Eindruck Putins stehen, die politische Ausrichtung klar ist, mag man im ersten Augenblick denken, daß die US-Juden doch eher liberal, demokratisch sind. Ja, das stimmt. Mehr als 70% der amerikanischen Juden wählen in den USA die Demokraten und nicht die Republikaner. Aber die US-Juden, die in den letzten 20 Jahren nach Israel eingewandert sind, sind national oder religiös geprägt, stehen den Republikanern nahe und sind auch eher orthodox als conservatice oder reform. Und dadurch sind also auch diese Neueinwanderer politisch – rechts. Die liberalen Juden aus den USA wollen nicht in das für sie so „tribale“ Israel.
Das säkular-liberale Lager in Israel wird immer weiter schwinden, das wird immer klarer. Eine Tendenz, die auch Europa längst erfasst hat, die gesamte westliche Welt. Die Tragödie ist doch, daß die „Linke“, was immer man darunter heute noch ideologisch zusammenfassen will, keine vernünftigen Antworten oder gar Visionen auf die aktuellen Probleme hat.
„Gefühlte“ Sicherheit
Man sollte meinen, daß in Israel, wo jedes dritte Kind unterhalb der Armutsgrenze lebt und die Lebenshaltungskosten explodieren, die sozialen Probleme im Mittelpunkt stehen sollten. Tatsächlich hat Netanyahu nicht nur nichts gegen die immer weiter aufgehende soziale Schere getan, sondern, wie ihm inzwischen konstatiert wird, hat er mit seiner Politik auch für eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums gesorgt, trotz High-Tech-Wunder u.ä.
Aber die „Linke“ kann daraus keinen Profit für sich ziehen. Bei Fragen der Sicherheit vertraut die Mehrheit der Rechten mehr als der Linken. Das ist ja auch in Deutschland nicht anders. Die CDU/CSU ist eher der Garant für Sicherheit als die SPD oder gar die Grünen. Und da macht es überhaupt nichts aus, ob das faktisch stimmt. Das ist eine „gefühlte“ Wirklichkeit, an die sich viele Menschen halten.
In Israel kommt noch etwas dazu: Der Linken wird vor allem von wirtschaftlich Schwächeren vorgeworfen, daß sie sich eher um die „andere Seite“, d.h. die Palästinenser, kümmert als um sie. Ja, auch Likud & Co. kümmern sich nicht wirklich um die Schwachen – aber sie kümmern sich wahrlich nicht um das Wohl der Palästinenser. Also wählt man rechts.
Wachsende Armut
Die Armut ist längst in Tel Aviv angekommen. Inzwischen sehe ich sie nicht nur im Süden der Stadt, in den ärmeren Vierteln, ich sehe sie auch im Norden. Immer mehr Menschen, die betteln, laufen auch dort zwischen den Cafés herum in der Hoffnung, ein paar Schekel zu ergattern. Menschen, die auf der Straße schlafen, sind auch im Norden immer wieder anzutreffen. Egal, wer am Dienstag die Wahlen gewinnt, egal, welche Koalition es geben wird – wenn die sozialen Probleme nicht allmählich angegangen werden, dann hat Israel in Zukunft noch ganz andere Probleme. Übrigens, als ich in den vergangenen Monaten durch Deutschland gereist bin, habe ich auch in diesem reichen Land in vielen Städten Armut gesehen. Viel mehr als früher. Und Altersarmut ist ja ein Thema, das auch in Deutschland immer ernster wird…
So.. jetzt aber noch einen schönen Sonntag. Das war mein letzter Blog zu den Wahlen in Israel am kommenden Dienstag. Morgen widme ich mich mal einem ganz anderen Thema…
2 Gedanken zu „Die Franzosen… und die anderen“
Danke für diese um Objektivität bemühte, erfrischend sachliche und meiner Einschätzung nach treffende Analyse der gesellschaftlichen Situation Israels.
Eine kleine Ergänzung…
„… französische Juden… ‚arabsich‘ geprägt, d.h., dass sie ihre einstigen arabischen Nachbarn mit grosser Skepsis sehen, um es mal vorsichtig zu sagen.“
Französische Juden sind nicht nur „arabisch“ geprägt aufgrund ihres Ursprungs in den Maghrebstaaten. Sie leben in Frankreich mehrheitlich auch in den arabisch geprägten Stadtteilen, da sie zur Zeit der Unabhängigkeitskriege gemeinsam mit ihren arabischen Nachbarn nach Frankreich gekommen sind. Die eigene ~orientalische Prägung, was Kleidung, Nahrung oder Begriffe von Stolz und Ehre sowie die Rolle der Frau in der Gesellschaft betrifft, hat für französische Juden kein Problem dargestellt, solange sie noch im Maghreb lebten. In Frankreich waren sie zu Beginn aufgrund dieser kulturellen Nähe zu ihren arabischen Nachbarn stigmatisiert, was zu einer tiefen Identitätskrise geführt hat. Im Maghreb lebte man traditionell, war, die Halacha, das Religionsgesetz, betreffend jedoch nicht zwangsläufig sehr orthodox. Da ass man zum Beispiel mit grosser Selbstverständlichkeit Meeresfrüchte, wie mir einmal eine Frau erzählte, die als Kind nach Frankreich gekommen ist. Als man dann drohte, in Frankreich mit dem Verlust des bis dato selbstverständlichen Patriarchats den Boden unter den Füssen zu verlieren, hat man mit religiösen Argumenten mühsam wieder Schutz, Halt und Zusammenhalt gefunden. Dazu war eine Abgrenzung zu den arabischen Nachbarn auf der einen und zur säkular-aufgeklärten Gesellschaft Frankreichs auf der anderen Seite erforderlich. Beides sind zentrale Anliegen sephardischer Rabbiner : Abstand suchen zur allzu lasterhaft-liberalen französischen Gesellschaft und auf keinen Fall Verrat am gesellschaftlichen Urkitt, dem Patriarchat, begehen. Es besser machen als die arabischen Nachbarn, noch stärker und besser auf die Ehre der Frau achten, … aber ohne sie dabei in Säcke zu stecken usw.
Das heisst, die Motivation französischer Juden, rechts zu wählen ist zwar dem russischstämmiger Juden oder heutiger Osteuropäer dem Ergebnis nach ähnlich, da diese ja auch « Strongmen » intellektuell abwägenden Politikern vorziehen, aber kulturell trennen die beiden Gruppen Welten. Für russische Juden ist die arabische Welt ein fremder Planet, für Juden aus dem Maghreb bedeutet sie bei aller Abgrenzung immer auch Wärme, Gemeinschaft und Leidenschaft. Darin liegt der Duft herrlich gewürzter, mit Liebe zubereiteter Speisen begleitet von orientalischen Klängen… die erwähnte arabische Prägung im positiven Sinn eben.
Der israelischen Linken bleibt nur, auf eine massive Einwanderung aus den USA zu hoffen. Trump hat beim gestrigen Parteitag der « Republican Jewish Coalition » gegenüber amerikanischen Juden bereits… von « ihrem » Premierminister Netanjahu gesprochen. Da geht die Reise hin. Das ist der « Plan ».
Eines noch. Die sozialen Missstände betreffend… Ich habe an verschiedenen Stellen zumindest von der Idee gelesen, den Golan aus strategischen Gründen gezielt stärker zu besiedeln. Mit Trump’s „Anerkennung“ des Golan als Staatsgebiet Israels ist der Weg dafür nun vielleicht geebnet. Dies sowie eine progressive Annektierung der C-Gebiete der West Bank werden der israelischen Wirtschaft neue Impulse geben – und helfen, die hohen Lebenshaltungskosten zu drücken. Die Armut wird zurückgehen. … nicht, weil die Linken gesiegt haben werden, sondern ironischerweise dank der Rechten.