Es ist ein absurder Wahlkampf in Israel. Eigentlich ist noch gar nicht richtig Wahlkampf, weil noch „Sommerpause“ herrscht. Bis zum 1. August haben die Parteien Zeit ihre Listen abzugeben, d.h., daß bis dahin noch die Möglichkeit besteht, mit anderen Parteien zusammenzugehen, um eine gemeinsame Liste vorzulegen und somit bessere Chancen zu haben.
So ist jetzt der Zusammenschluß von Ehud Baraks Partei mit der linken Meretz ein Versuch, die „Linke“ zu stärken, nachdem der neue Vorsitzende der Arbeitspartei (eigentlich ein „alter“ Vorsitzender, denn er hatte diesen Job schon mal und ist kläglich gescheitert damals…) einen „merger“ mit Orly Levy-Abecassis geschlossen hat, einer Politikerin, deren Partei bei den Wahlen im April durchgefallen ist. Ihre Agenda ist eine soziale, aber sie steht dem Likud, nun, sagen wir mal: nicht unnah, und so hat Peretz einen Faust’schen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Die letzten Wähler der Sozialdemokraten könnten der Avoda, Arbeitspartei, nun endgültig und berechtigt das bescheren, was sie verdient: das totale Aus, nachdem sie schon bei den Aprilwahlen gerade mal auf 6 Mandate gekommen ist. Stav Shaffir, der junge Star der Partei, hat das sinkende Schiff bereits verlassen und sich dem neuen Bündnis von Barak und Meretz angeschlossen und ist dafür auch belohnt worden: Sie steht auf Platz 2 der Liste.
Eine Entschuldigung mit einer Absicht
Barak selbst hat für sich nur Platz 10 in Anspruch genommen. Bescheidenheit? Viele sind überrascht, weil Barak (neben Bibi) so ziemlich der eitelste Politiker ist, den Israel hat und hatte. Angeblich geht es ihm nicht um sein Ego, sondern um das „höhere Ziel“: Netanyahu aus dem Amt zu werfen und zu besiegen. Aber ein wichtiger Grund, warum er nur Platz 10 der neuen Liste für sich beansprucht, ist ein anderer: Meretz wird auch von arabischen Israelis gewählt. Damit das auch im September so sein wird, mußte er zurückstecken. Denn die arabischen Israelis haben nicht vergessen, wofür er als Premier verantwortlich ist: Bei Protesten israelischer Araber im Oktober 2000, gab es einen Schießbefehl für die Polizei, die 12 Araber mit israelischen Pass einfach mal so erschossen. Die Proteste waren aufgrund der Unruhen in den besetzten Gebieten ausgebrochen, natürlich hatte die Polizei das Recht, innerhalb Israels für Ruhe zu sorgen, dafür, daß die Demonstrationen nicht gewalttätig werden usw. Aber da es sich um israelische Araber handelte, war man schnell dabei zu schießen. Wenn Siedler demonstrieren, gewalttätig, dann hat die Polizei interessanterweise auch noch andere Methoden zur Verfügung, um die Unruhen einzudämmen, durchaus gewalttätige Mittel, aber geschossen, auf jüdische Demonstranten geschossen, wird dann eher nicht.
Barak hat sich nie entschuldigt für das, was damals geschehen ist. (Man darf nicht vergessen: er, Barak, hatte versucht, mit Arafat die Zwei-Staaten-Lösung hinzubekommen, was dann in Camp David gescheitert war). Nun hat er das getan. Bevor die beiden Parteien zusammengingen. Eine Entschuldigung, verbunden mit einer Absicht. Und Platz 10, um die israelischen Araber dazu bewegen zu können, das neue Bündnis, das „Demokratische Lager“, zu wählen. Ob diese Rechnung aufgeht?
Egos, Eitelkeiten, Eifersucht
Überhaupt: Der ganze Wahlkampf oder das, was dem eigentlichen Wahlkampf vorausgeht, hat absolut nichts mit Politik zu tun, sondern nur mit Egos, Eitelkeiten, Eifersucht. Jeder gegen jeden, alle halten sich für die Größten und dealen mit anderen herum, wer nun wie stark ist und was machen darf, soll oder will. Auch auf der Rechten geht es ähnlich zu. Ayelet Shaked versucht einen „merger“ hinzubekommen, versucht Rafi Peretz zu überreden, unter ihrer Führung natürlich die beiden Parteien zusammenzulegen.
Der wichtigste Oppositionskandidat, Benny Gantz, der mit Netanyahu immerhin bei den letzten Wahlen gleichauf lag (jeweils 35 Mandate), ist mal wieder „wortkarg“ und kaum präsent, auch wenn er brav Tweets absetzt, herumreist und ab und an im Fernsehen auftaucht. Doch Gantz ist blass und schwach, wie schon beim letzten Wahlkampf und diesmal dürfte es für ihn schwerer werden, weil mit Barak ein neuer Spieler in der Opposition aufgetaucht ist, der ihm mit Sicherheit einige Stimmen wegnehmen wird, so daß möglicherweise der Likud doch wieder die stärkste Partei werden könnte.
Der neue „Liebling“ vieler Linker?
Insofern hört man unter linken Wählern einen gänzlich neuen Ton: Ob man nicht Lieberman wählen muß diesmal, um sicher zu sein, daß Bibi endlich „abgeschossen“ wird. Avigdor Lieberman: Siedler, Rechter, Rassist und, um es vorsichtig zu sagen, kein bedingungsloser Fan der Demokratie. Nichtsdestotrotz hat Lieberman zwei sehr wichtige Punkte, die für ihn sprechen: Er hasst Netanyahu und will ihn weghaben (die beiden haben noch viele alte Rechnungen miteinander offen) und: er hasst die Religiösen vielleicht noch mehr und hat mit seinen Forderungen gegen die frommen Parteien die Koalitionsverhandlungen nach den Aprilwahlen platzen lassen, weil Bibi ohne ihn keine Mehrheit zustande bekam. Nun macht Lieberman mit einem genialen Slogan Wahlkampf: „Make Israel normal again“ – und meint damit: Lasst uns Israel wieder zu einem säkularen Staat machen, in dem die Frommen keinen Einfluß auf die Gesetzgebung mehr haben. Damit kommt er selbst bei den „Tel Avivis“ an und ich kenne so einige meiner Freunde und Bekannten, die allen Ernstes diesmal „Evet“ wählen werden, wie Lieberman gerne genannt wird.
Ein absurder Wahlkampf
Soweit ist es also gekommen: „Linke“ vertrauen auf Lieberman, denn sie wissen, daß das linke Lager möglicherweise wieder keine Mandatsmehrheit in der nächsten Knesset haben wird. Allein deswegen ist dies ein absurder Wahlkampf. Aber er ist auch noch aus anderen Gründen absurd: Über die wichtigen politischen Themen wird so gut wie nicht gesprochen. Es geht weder um die Palästinenser, noch um die Hizbollah, noch um den Iran oder Syrien. Es geht nicht um die sozialen Probleme im Land, nicht um das Verhältnis zur demokratischen Welt. Es geht nur um ein einziges Thema: Kann Bibi bleiben oder wird man ihn (endlich – so sagen seine Gegner) los?
Das letzte Kapitel
Was sicher ist: wir erleben auf alle Fälle das letzte Kapitel der Ära Netanyahu. Selbst wenn er wiedergewählt und eine Koalition zustande bringen würde, drei Wochen nach der Wahl muß er sich dem Hearing stellen, das der endgültigen Anklage wegen Korruption, vorausgeht. Kommt es zur Anklage? Die Frage ist falsch gestellt: Was würden seine potentiellen Koalitionspartner von ihm verlangen, ihm, einen ziemlich angeschlagenen, waidwunden Premier? Wie lange könnte eine solche Koalition halten?
Oder kommt es tatsächlich zum Traum des Avigdor Lieberman: Netanyahu schafft es nicht, eine Mehrheit zusammenzubekommen, der Likud wagt die Palastrevolte, setzt ihn ab und geht dann mit Benny Gantz und Lieberman zusammen. Das wäre eine stabile Koalition mit einer gemütlichen Mehrheit in der Knesset. Eine Mitte-Rechts-Koalition ohne religiöse Parteien und – das Wichtigste – ohne Bibi. Es wäre auf alle Fälle ein Neuanfang für Israel.
Unterste Schublade
Aber bis es soweit kommt, kann noch viel passieren. Der Wahlkampf dürfte in den letzten Wochen noch schmutziger werden als der Letzte, Bibi kämpft mit dem Rücken zur Wand und hat nichts mehr zu verlieren. Er macht inzwischen Fehler, ja. Aber er wird sich nicht scheuen, die miesesten Tricks aus der untersten Schublade zu ziehen, um sich an der Macht zu halten.
Und der israelische Wähler? Soviel ist sicher: allen geht dieser erneute Urnengang extrem auf die Nerven. Aber wer weiß, wozu so ein absurder Wahlkampf am Ende gut ist.