Noch sprechen sie nicht von Krieg

Nervös, aber bestimmt: In Israel stellen sich Regierung und Bevölkerung auf eine militärische Konfrontation mit dem Iran ein. Netanjahus Kalkül zielt dabei auf die USA.

 

 
Israel. Blick auf den Berg Hermon in den Golanhöhen.

Israel. Blick auf den Berg Hermon in den Golanhöhen

 

Tel Aviv scheint ruhig und entspannt in diesen Tagen, die Menschen sind solche Situationen ja gewöhnt. Doch spricht man mit den Leuten auf den Straßen und in den Cafés, wird klar, dass sie doch nervös sind. Eine Frau, die mit ihrem Mann einige Tage in den Urlaub nach Europa fliegen wollte, erzählt, sie habe die Reise abgesagt. Sie wolle ihre zwei Kinder – beide Teenager – jetzt nicht alleine lassen. Eine andere atmet durch, ihr Sohn, derzeit Soldat, bekam seinen Wochenendurlaub genehmigt. Die Mutter wäscht seine Uniformen und betet, dass er in der kommenden Woche nicht an die syrische Grenze verlegt wird.

Wer es bisher nicht glauben wollte, wird es spätestens in dieser Woche begriffen haben: Der Iran und Israel befinden sich in einer direkten Konfrontation. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag flogen Raketen aus Syrien Richtung Israel, laut israelischer Regierung abgefeuert von iranischen Stellungen. Der Iran dementiert das. Keine Rakete traf ihr Ziel, vier wurden vom Raketenabwehrsystem Iron Dome abgeschossen, alle anderen stürzten auf syrischem Territorium ab.

Als Reaktion griff die israelische Luftwaffe Dutzende mutmaßliche iranische Stellungen in Syrien an und zerstörte nach eigenen Angaben alle. Damit wären die Bemühungen Teherans, sich militärisch in Israels Nachbarschaft niederzulassen, auf viele Monate vereitelt. Die deutliche Botschaft an Teheran: Israel wird unter keinen Umständen eine iranische Militärpräsenz in Syrien zulassen. Der Iran wird Israel nicht in Geiselhaft nehmen wie etwa Nordkorea Südkorea. Wie immer sind die Israelis stolz auf ihre Armee und darauf, dass Luftwaffe und Geheimdienste so schnell und erfolgreich reagiert haben.

 

War das schon die große Vergeltungsaktion?

Ist das nun ein Krieg? Davon will in Jerusalem niemand sprechen, im Gegenteil. Selbst Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, ein Hardliner, sagte bei einer Pressekonferenz, Israel sei nicht interessiert an einer Eskalation des Konflikts, betonte aber gleichzeitig, man werde jeden Angriff mit härteren Vergeltungsschlägen beantworten.

Die Frage, die in israelischen Medien und auf der Straße nun diskutiert wird, ist: War das schon die große Vergeltungsaktion, die Teheran nach dem Bruch des Atomabkommens durch die USA angekündigt hatte? Hat der Iran nicht mehr zu bieten?

Was, wenn Iran seine wichtigste Waffe gegen Israel einsetzt: die Hisbollah-Miliz im Libanon mit ihren 120.000 Raketen, die jeden Ort in Israel erreichen können? Dann schaut die Lage ganz anders aus. Das wissen in Israel alle. Das ist es, was die Soldatenmutter und alle anderen so nervös macht.

 

Ausstieg aus Iran-Abkommen spaltet

Aber ausweichen will dem Konflikt niemand. Man ist sich einig, dass eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen dem Iran und Israel sowieso gekommen wäre. Dann eben jetzt. »Ejn breirah«, heißt es wieder, »wir haben keine andere Wahl«.

Gespalten ist das Land allerdings, wenn es um die Entscheidung von US-Präsident Trump geht, aus dem Iran-Abkommen auszusteigen. Die politisch rechts stehenden Israelis sind zufrieden. Sie wissen zwar, dass ihre eigenen Generäle für den Erhalt des Abkommens waren, sind aber froh, dass im Weißen Haus jetzt ein Mann sitzt, der die Lage in Nahost ähnlich beurteilt wie die israelische Führung: nämlich so, dass der Iran das größte Problem für die Sicherheit der gesamten Region darstelle.

Amos Yadlin, der frühere Chef des Armeegeheimdienstes und heute Direktor des wichtigsten israelischen Thinktanks INSS (Institute for National Security Studies), hat schon vor ein paar Tagen gesagt, die Überprüfungen im Iran seien problematisch, weil man nie wirklich kontrollieren habe können, ob sich das Regime in Teheran an die Vereinbarungen des JCPOA-Abkommens gehalten hat. Denn nicht alle militärischen Einrichtungen seien für die internationalen Kontrolleure zugänglich. Das sei eine der vielen Schwächen des Atomdeals, sagte Yadlin.

 

Die Opposition steht auf der Seite der Netanjahu-Regierung

Die israelische Opposition hat sich ganz auf die Seite der Netanjahu-Regierung gestellt. Die Statements von Avi Gabbay, dem Führer der Arbeitspartei, und Yair Lapid, dem Chef der Zentrumspartei Jesch Atid, sind so gut wie identisch mit den Erklärungen von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Solidarität in Zeiten der Gefahr ist selbst für die meisten Regierungskritiker eine Selbstverständlichkeit. Trotzdem hätten es viele linke Wähler gern, wenn linke Parteien dem Vorgehen der Regierung kritischer gegenüberstünden.

Und dann gibt es noch jene Israelis, die Netanjahu ein zynisches Spiel unterstellen.Gegen ihn laufen Untersuchungen wegen Korruption in mehreren Fällen. Israels Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit prüft derzeit, ob die Ergebnisse der Polizeiermittlungen ausreichen, um ihn anzuklagen. Eine Anklage in Zeiten der existenziellen Bedrohung gegen den Premierminister des Landes? Eigentlich undenkbar. Bibi, wie Netanjahu genannt wird, lasse den Konflikt mit dem Iran eskalieren, um sein politisches Überleben zu sichern, sind viele im Land überzeugt.

 

Kalkül zielt in eine andere Richtung

Doch bei allem Zynismus, zu dem Netanjahu fähig ist, sein Kalkül dürfte ein anderes sein: Er will die USA zum Handeln zwingen. US-Außenminister Mike Pompeo droht Teheran bereits, die USA würden reagieren, falls Israel angegriffen werde. Netanjahu hofft, dass, falls die Konfrontation eskaliert, die US Air Force die Atomanlagen im Iran zerstörte und nicht die israelische Luftwaffe. »Aber ob uns das amerikanische Volk das verzeihen würde, wenn wir seine Söhne sozusagen in den Krieg treiben?«, fragt ein israelischer Linker der Friedensbewegung Peace Now. »Das wird wie ein Bumerang auf uns zurückfallen.«

Die Rechte argumentiert anders. Das Atomprogramm oder die Wiederaufnahme des iranischen Atomprogramms sei nicht nur für Israel eine Bedrohung, sondern für die arabische Welt, für Europa und die USA. Die Regierung in Washington hätte also ein Eigeninteresse, einzugreifen. Und nur so könne ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten verhindert werden. Wenn die iranische Regierung die Zentrifugen wieder anwerfen sollte, dann zögen die Saudis, die Türken und vielleicht sogar Ägypten sofort nach. Das müsse man unter allen Umständen verhindern.

 

Messen mit zweierlei Maß?

Dass Israel selbst Atommacht ist, wird nicht weiter diskutiert. Jeder weiß es, aber es wird offiziell weder dementiert noch bestätigt. Internationale Experten gehen davon aus, dass Israel über mindestens 250 Nuklearsprengköpfe verfügt.

Ist Israels Sorge vor einer iranischen Nuklearbombe also ein Messen mit zweierlei Maß? „Aber nein“, sagt ein junger israelischer Soldat, »im Gegensatz zum Iran haben wir nie angedroht, irgendeinen Staat von der Landkarte zu tilgen.« Er lächelt und fährt fort:»Falls wir die Atombombe hätten, würden wir sie nie als Erste einsetzen.«

Wer durch die Cafés von Tel Aviv schlendert, wird dort neben den Raketenangriffen noch auf ein zweites Gesprächsthema stoßen. Vor wenigen Tagen fielen daumennagelgroße Hagelkörner auf die Stadt. Ein schweres Gewitter im bereits sommerlich warmen Mai, das ist sehr ungewöhnlich. »Vielleicht wollte Gott uns einfach schon mal vorbereiten, was noch so vom Himmel fallen wird«, sagt einer. Da ist er wieder, der israelische Zynismus, der dem Volk hilft, auch noch den gefährlichsten Situationen etwas Humorvolles abzugewinnen. Eine Überlebensstrategie, die über Jahrtausende eingeübt wurde. Sie könnte in der nahen Zukunft wieder dringend nötig sein.

 

Dieser Artikel erschein am 11. Mai 2018 auf  ZEIT ONLINE.

Ein Gedanke zu „Noch sprechen sie nicht von Krieg

  1. Netanjahus Kalkül zielt dabei zunächst auf Netanjahu. Rally behind the leader in times of national crisis.

    Das alte Szenario sagt, dass die amerikanische Stimmung erst dann in den Kriegsmodus schwingt, wenn die israelischen Verluste zum Himmel schreien. Good luck!

    Gibt’s hier eigentlich keine anderen Kommentare?

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