Holocaust- Gedenken

Beim Lesen von Anshel Pfeffers hervorragenden Artikel zum Holocaust-Gedenktag in der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ https://www.haaretz.com/world-news/.premium-international-holocaust-remembrance-day-was-a-mistake-1.6896875 mußte ich an mein eigenes Erlebnis Anfang der Woche in Brüssel denken. Ich war eingeladen im Rahmen des EU-Parlaments an einer Diskussion über den Antisemitismus in Europa teilzunehmen. Die Veranstaltung war Teil des offiziellen Gedenkens an die Shoah, der 27. Januar ist ja der internationale Holocaust-Gedenktag.

Pfeffer beschreibt, wie inzwischen Antisemiten von links und von rechts das Gedenken benutzen und mißbrauchen, um zu zeigen, daß sie ja (angeblich) gar keine Antisemiten sind. Er zeigt auch auf, welche Rolle die Regierung Netanyahu dabei auch spielt, doch das jetzt mal beiseite.

Good cop, bad cop

Ich sollte also zusammen mit der amerikanischen Schriftstellerin Deborah Feldman diskutieren, wie die Lage in Europa ist, und mir war natürlich klar, daß wir hier ein wenig „good cop, bad cop“ spielen würden, da ich wußte, daß Deborah Europa toll und wunderbar findet und davon überzeugt ist, daß man Hand in Hand, gemeinsam mit Nichtjuden, den Antisemitismus besiegen könne. Als ich in ihrem Alter war, hatte ich das auch noch gehofft. Inzwischen bin ich aufgrund von Erfahrung, Entwicklungen und Alter skeptischer geworden.

Bevor wir auf’s Podium gebeten wurden, gab es einige Damen und Herren, die salbungsvolle Worte zur Einleitung sprachen. Alle waren sich einig: „Never forget“, „Never again“ „Wehret den Anfängen“ und wie all diese netten Sprüche aus dem Wortbausteinkasten der Gedenkkultur so lauten.

Ein waschechter Kakanier

Schließlich sprach ein österreichischer MEP. Ich habe den Herren bei einem früheren Besuch in Brüssel kennengelernt und wir hatten uns prächtig verstanden als er erfuhr, daß ich früher einmal in Wien gelebt habe. Wir ratschten damals über den besten Heurigen, das schönste Kaffeehaus, was man so als echter oder zugereister Wiener halt so tut (natürlich schimpften wir auch gemeinsam über Wien, das gehört sich so. Immerhin bin ich ja ein waschechter Kakanier, da darf ich das).

Dieser Herr, dem ich – das möchte ich hier betonen – keinerlei böse Absicht unterstellen möchte, hielt eine Rede, bei der er sich in große Emotionen redete. Nie wieder dürfe so etwas geschehen wie damals, man müsse alles dafür tun, Antisemitismus dürfe einfach nicht mehr siegreich sein und so weiter. Und dann betonte er stolz, wieviele Entscheidungen in der EU gegen Antisemitismus getroffen wurden in der Zeit, in der Österreich zuletzt die EU-Ratspräsidentschaft inne hatte.

Spätestens da begann mein Puls sich langsam aber stetig zu erhöhen. Ich schaute mich um. Hat auch noch jemand anders etwas gemerkt? Es machte nicht den Eindruck. Alle blieben ruhig und still. Kein Protest, nicht einmal ein leises Kopfschütteln konnte ich entdecken. In die Herzen der Zuhörer konnte ich natürlich nicht blicken.

Party pooper

Schließlich wurden Deborah und ich auf’s Podium gebeten, die Diskussion konnte beginnen. Und gleich mit meiner ersten Äußerung wurde ich zum „party pooper“ als ich darauf hinwies, daß diese „Nie wieder“- und „Wehret den Anfängen“-Sprüche absurd seien. Wenn ein EU-Politiker einerseits zu Recht darauf hinweist, was unter der österreichischen Leitung erreicht worden sei, dabei aber niemand darüber nachdenkt, daß in der österreichischen Koalition eine Partei ist, in deren Mitte sich Personen befinden, die dem Antisemitismus, „sehr nahe“ stehen, um es mal höflich auszudrücken. Daß wir schon „mitten drin“ sind und nicht „Am Anfang“, daß das „Nie wieder“ bereits eine Farce ist. Daß das österreichische Bemühen, innerhalb der EU gegen den Antisemitismus „vorzugehen“ einem Persilschein gleichkommt für die eigene Koalition. Daß man also Parteien und Menschen auf diese Weise„salonfähig“ macht, die in keinem zivilisierten Salon auftauchen sollten. Daß also, mit anderen Worten, die Lage schon viel schlimmer ist, als das in den würdigen Reden uns erklärt wird.

Gegen alle, die nicht „passen“

Diese Verdrehungen und Verbiegungen, die sich in Europa – und nicht nur dort – längst verselbständigt haben, so daß man immer auf andere verweist, die Antisemiten sind, aber nie auf das Eigene. Diese Verdrehungen und Verbiegungen, die die „Linken“ dazu verführt, den Antisemitismus immer nur bei den „Rechten“ zu sehen (und umgekehrt) und im Zweifelsfall immer bei den Muslimen. Diese Verdrehungen und Verbiegungen führen dazu, daß wir tatsächlich schon „mitten drin“ sind.  Denn der Wahnsinn beginnt nicht „erst“ bei Auschwitz, er beginnt viel früher.

Und dort, wo es gegen Juden geht, geht es schließlich gegen alle, die nicht „passen“. Egal, ob sie Juden sind oder nicht.

 

 

 

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