Eine ganz andere Vorstellung von Welt

Wie kompliziert diese Welt geworden ist, wie tief die Gräben zwischen „links“ und „rechts“ geworden sind, erkennt man vor allem an der Beurteilung des Iran-Abkommens. Ich weiß, die Begrifflichkeiten „links“ und „rechts“ sind in der heutigen Politik längst obsolet geworden, aber sie sind derzeit immer noch die gängigsten Adverbien, wenn es darum geht, eine gewisse Weltsicht für alle kenntlich zu machen, eine Art kleinster gemeinsamer Nenner.

Richtig oder falsch?

Ist die einseitige Aufkündigung des Abkommens durch die USA nun richtig oder falsch, gut oder schlecht für den „Weltfrieden“? Wenn man mal den Reflex beiseite schiebt, den man als „anständiger Europäer“ bei so ziemlich allem hat, was Donald Trump macht – also ein gewisses Ekelgefühl und viel Wut – wenn man sich für einen Augenblick überlegt, wie das nun wäre, wenn ein sehr viel rationalerer, aber eben doch: rechter US-Präsident das Abkommen aufgekündigt hätte, was wäre dann? Würde man den Schritt verdammen? Lassn Sie mal die rechtlichen und moralischen Bedenken beiseite, die zählen in der Politik ja sowieso nichts. Sondern gehen Sie doch einfach mal der Frage nach, ob  S i e wirklich einschätzen können, welche Politik die richtigere ist? Die Einhaltung des Abkommens, das ja viele von Anfang an für fehlerhaft hielten, allen voran Netanyahu, oder aber die Aufkündigung und die erneute Einsetzung  von Sanktionen. Welche Politik ist wirklich die strategisch bessere?

Finanzierung von Terrorismus

Deutschlands Außenminister Heiko Maas und andere europäischen Politiker haben sich festgelegt und denken anscheinend nicht viel darüber nach, daß die Milliardengeschäfte, die inzwischen mit dem Iran gemacht werden, die Mullahs in Teheran weiter befähigen, ihre Proxies, den Terrorismus und den Kampf gegen Israel zu finanzieren. Denn, das wissen wir ja auch durch die vielen Demonstrationen im Iran, das Geld, das nun vorhanden ist, Konten, die wieder freigegeben wurden etc. – all das floß und fließt nicht zum Wohle der Bevölkerung in die eigene Wirtschaft, sondern woanders hin.

Wir tendieren – je nach politischer Gesinnung – wahnsinnig schnell und heftig, die Argumente der Gegenseite zu verteufeln, die öffentliche Diskussion ist so schrill geworden…. Ja, ja, ich weiß, soziale Medien und so weiter…

Echokammern und Ethnozentrismus

Aber wie könnten wir zurückkommen zu einer ernsthaften Auseinandersetzung um reale und große Probleme, wie könnten wir es schaffen, die Dinge stets von verschiedenen Seiten aus zu betrachten und nicht immer nur aus dem eigenen Blickwinkel, was man heute dann modern „Echokammern“ nennt, da man sich ja in den Social Media nur unter „seinesgleichen“ tummelt.

Die politische Diskussion wird obendrein durch einen ethnozentrischen Blick weiter verengt. Natürlich blickt „Deutschland“ anders auf ein weltpolitisches Geschehen als „Frankreich“ als die „USA“, als wer auch immer. Ich schreibe die Staaten in Anführungszeichen, weil es ja selbst unter den „linken“ und „rechten“ Denkern und Streitern eines jeweiligen Landes einen gewissen geostrategischen, ethnozentristischen gemeinsamen Blickwinkel gibt. Nämlich die Frage, ob etwas jeweils gut oder schlecht für das eigene Land ist.

Erkenntnis bedeutet Anzweifeln

Seriösen Journalismus zu machen, wird heutzutage immer schwieriger. Eine Binse, ich weiß. Aber man muß sich schon auch mal selbst zwicken und fragen, ob die eigene Haltung wirklich so „richtig“ ist, wie man die meiste Zeit glaubt. Ob man nicht immer und immer wieder den eigenen Standpunkt in Frage stellen muß, abklopfen, ob das wirklich gilt, wovon man überzeugt ist. Wissenschaftlicher Fortschritt oder schlicht allgemein: Erkenntnis leben ja davon, daß man immer wieder Sicher-Geglaubtes anzweifelt.

Im öffentlichen politischen Diskurs scheinen wir derzeit weiter davon entfernt zu sein, denn je. Erst kürzlich sah ich eine Debatte von Kohl, Strauß, Genscher und Schmidt wieder. Nein, ich will die „alten Zeiten“ nicht als die Besseren stilisieren, aber die Debattenkultur war tatsächlich eine andere als heute, in der jeder nur noch aufpaßt, ja nichts Falsches zu sagen, um nicht anschließend einem Shitstorm im Netz ausgeliefert zu sein. Der Mut fehlt an so vielen Ecken und Enden, der Mut auch, sich zu korrigieren. Nun ist Trump wahrlich nicht ein Vorbild für das, wovon ich hier vor mich hin träume, im Gegenteil, er ist vielleicht das wahre Produkt jener neuen medialen Zeit, in der wir leben. Und das ist tragisch genug.

Ist das Prinzip „Sozialdemokratie“ tot?

Aber dennoch müssen wir uns z.B. beim Thema Iran immer auch fragen, ob das, wovon wir überzeugt sind, daß es „falsch“ ist, nicht vielleicht doch „richtig“ ist? Wir erleben ja einen Paradigmenwechsel erster Güte. Nicht nur, daß Demokratie und Liberalismus bedroht sind, die Sozialdemokratie ist in sehr vielen Staaten bereits untergegangen, weil sie nichts mehr anzubieten hat, was diesen Zeiten entspricht. Oder richtiger: Sie bietet nichts mehr an, was die Menschen überzeugt. Und das kann natürlich auch bedeuten, daß das Prinzip Sozialdemokratie tot ist. Daß wir in diesen veränderten Zeiten neue gesellschaftliche Ordnungen erleben werden, die eine völlig andere Politik erforderlich machen  – wobei ich schon immer noch darauf bestehe, daß sie mit Achtung vor der Menschenwürde geführt wird, auch wenn das jetzt pathetisch und hochtrabend klingt und sich wohl kaum erfüllen lassen wird…

Lega und der Wohlstand

Wenn ich nach Italien schaue und sehe, daß der Norden eher rechts ist, Lega wählt, daß Menschen, die ich gut kenne und deren anständige Gesinnung ich nicht anzweifle, eben auch Lega wählen und mir erklären, daß die Wirtschaftspolitik dieser Partei klug und sinnvoll ist, dann wird mir eben auch klar, daß es hier um die Bewahrung von Wohlstand geht, den man zu verlieren hat. Und das führt zu politischen Verschiebungen, die man mit Skepsis betrachen kann, die aber nichtsdestotrotz stattfinden. Finden wir die Haltung von Salvini gegenüber den Flüchtlingen richtig oder falsch? Vom moralischen Gesichtspunkt aus, gibt es nur eine Antwort: Sie ist widerlich. Und die Justiz hat ja inzwischen gegen Salvini zu ermitteln begonnen. Aber an einem Punkt hat Salvini leider „recht“: In den vergangenen Jahren hat die EU Italien so ziemlich allein gelassen mit seinem Flüchtlingsproblem. Nun aber, da Italiens populistische Regierung Druck macht, Flüchtlinge abweist, kommt auf einmal Bewegung in die Situation. Das ist entsetzlich, aber es ist eine „Realpolitik“, die Salvini & Co. rechtzugeben scheint. Jenseits von Moral und Menschlichkeit.

Unsicheres Terrain

Und das bedeutet doch, daß an unserem System etwas nicht mehr stimmt. Und wir noch keine Alternativen gefunden haben auf die drängenden Fragen der Zeit, ohne zumindest komplett das menschliche Antlitz einer wie auch immer gearteten Politik zu verlieren. Daß wir uns auf unsicherem Terrain befinden und gerade deswegen den eigenen Standpunkt immer neu überprüfen müssen, der er könnte uns möglicherweise keinen sicheren Halt mehr bieten.

3 Gedanken zu „Eine ganz andere Vorstellung von Welt

  1. „Aber man muss sich schon auch mal selbst zwicken und fragen, ob die eigenee Haltung wirklich so „richtig“ ist, wie man die meiste Zeit glaubt. Ob man nicht immer und immer wieder den eigenen Standpunkt in Frage stellen muss, abklopfen, ob das wirklich gilt, wovon man überzeugt ist.“ (R. C. Schneider)

    Ist es nicht Aufgabe des Journalisten, zuerst einmal Realität abzubilden, so wie sie ist? Wie viel „eigenen Standpunkt“ benötigt dieses Sehen und Abbilden der Realität? Ist es nicht so, dass das „Produkt“ von gutem Journalismus diesen Auftrag je besser erfüllt desto weniger „eigener“ Standpunkt in die Berichterstattung mit einfliesst?

    Selbstverständlich mag sich der persönliche Standpunkt des Journalisten dann im Lauf der Zeit und in Anbetracht der sich wandelnden Bilder, einer sich wandelnden Realität, eines sich verändernden Zeitgeists usw. auch ändern. Wieso überhaupt Sicherheit suchen in einem idealerweise? unverrückbaren Standpunkt? Der Standpunkt gibt vor, was gedacht, was gesagt werden darf und was nicht, was man hören will und was nicht, was zu begrüssen ist und was zu verwerfen. Er erschwert guten Journalismus, macht ihn nicht besser.

    Leider geht man in den Medien davon aus, dass zu viele Bürger unmündig sind, so dass es wichtig ist, Realität so zu zeichnen, dass sie am Ende zumindest verstehen mögen, was richtig und was falsch ist, welche Politik zu begrüssen ist und welche abzulehnen, welche Parteien akzeptabel sind und welche nicht. Aber die Bürger, User, Medienkonsumenten… wir alle *sind* nicht unmündig, reagieren jedoch tendenziell pikiert auf solche suggestiven Vorgaben. „Wir“ (ich nehme an, dass ich auch für andere spreche) sind zu einer eigenen Meinung fähig. „Wir“ erwarten nicht, dass Journalisten sich ihres eigenen Standpunkts sicher sind, um guten Journalismus machen zu können. Die Realität da draussen kümmert nicht, wie der Reporter über sie denkt. Er soll beschreiben, was geschieht – und kann seine persönlichen Ansichten gerne „nach Feierabend“ (auch wenn es den im wörtlichen Sinn kaum gibt) im privaten Kreis diskutieren oder, ich möchte fast sagen: bedauerlicherweise, auch in einem persönlichem Blog oder in den sozialen Medien.

    Hiermit will ich also niemandem, auch Journalisten bzw. Richard Schneider nicht, das Recht auf eine eigene Meinung absprechen, aber es stört mich, wenn es so klingt, als sei man der eigenen Sache nicht mehr so sicher: In welchem Licht zeichne ich die Realität? In welchem Licht soll sie gesehen werden? – Hilfe! – Ich fühle mich verunsichert!! Ich weiss nicht mehr, was richtig, was falsch ist und wie ich berichten soll. Kann man es noch wissen?

    Für die User/Medienkonsumenten macht es keinen Unterschied, welchen persönlichen Standpunkt ein Journalist vertritt oder ob er seines Standpunkts nicht sicher ist. Je „verunsicherter“, desto besser!

    Vermeintliche Sicherheit, auch in Form eines sicheren Standpunkts, sucht Bestätigung derselben in der Realität, die beschrieben wird und wird immer versuchen, einen Teil der Realität auszublenden oder in einem fragwürdigen Licht darzustellen. Guter Journalismus soll ALLES sehen und zeigen. Es kann geschehen, dass die Geschichte vor den Augen der berichtenden Zeitzeugen einen Verlauf nimmt, den man nicht haben will, den man stoppen will, und doch liegt es nicht in der Macht und ist vor allem nicht die Verantwortung des Journalisten den Lauf der Geschichte zu lenken.

    1. Sie haben völlig Recht. In meinem neuem Buch „Alltag im Ausnahmezustand. Mein Blick auf Israel“ beschreibe ich im letzten Kapitel eben genau das, was Sie monieren, daß nämlich viele mit einer „festen Meinung“ auf den Nahen Osten (in diesem Fall) blicken und sich bereits ein Bild gemacht haben, ohne die Realität vor Ort wirklich anzuschauen. Aber: Was ist „Die Realität“, die auch Sie einfordern? Es ist immer das Bild, das ich mir mache aufgrund einer Prägung (sozial, ethisch, politisch, was auch immer). Im besten Fall gelingt es mir, immer alle Seiten aufzuzeigen, so daß der Zuschauer, der Leser sich ein eigenes Bild machen können. In der Tat haben wir im deutschen Journalismus nicht immer eine so klare Trennung zwischen Bericht und Meinung, in der angelsächsischen Welt ist das viel stärker betont, die Op-Ed-Seiten der großen Zeitungen sind deswegen auch besonders wichtig, weil da „Meinung“ gemacht wird. Aber machen wir uns nichts vor: Selbst dort, wo wir nur „berichten“, die „Realität“ abbilden, sind wir nie neutral. Sie kennen den Spruch ja: „Was dem einen ein Terrorist, ist dem anderen sein Freiheitskämpfer“ – das gilt für alles und jeden. Es gibt immer eine „Lesart“, der wir uns anschließen, wir können nie zu 100% „objektiv“ sein, das geht einfach nicht. Es kommt noch etwas dazu: Die Sozialen Medien funktionieren anders. Wenn ich, z.B., hier auf meiner Website meinen Blog schreibe, dann ist das eben: m e i n Blog. Auch auf Twitter und Facebook funktioniert Nachricht oft über etwas Persönliches, über Emotion besser als über sachliche Beschreibung eines Vorgangs. Das ist der Vor- und Nachteil dieser neuen Medien. Das muß man als User wissen und entsprechend das, was man liest, einschätzen und verarbeiten. Aber Sie haben Recht: Die reine Bevormundung sollte Journalismus nie sein.

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